Rassistischer, trans* feindlicher Ausschluss bei Gedenken gegen trans*-Feindlichkeit

Kurzbeschreibung und Inhaltsnotiz (Content Note (CN)), Tod, Rassismus, inter* und trans* Feindlichkeit:

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Heute vor zwei Wochen ist der trans* Mann Malte nach heftiger Gewalteinwirkung, eine Woche vor seinem Tod, verstorben. Der Text behandelt den Tod von Malte und Rassismus, inter* und trans* Feindlichkeit auf der Gedenk-Demo in Kassel am 02.09.2022, dem Todestag von Malte. Der vollzogene Ausschluss auf der Demo muss intersektional (mehrdimensional) betrachtet werden. Aus verschiedenen Gründen wird die Kategorie Geschlecht im Text sehr stark hervorgehoben und andere Dimensionen rücken dadurch in den Hintergrund. Mir ist bewusst, dass es weitere gravierende Gründe für das ausschließende Handeln und mein unsichtbar gemacht werden gab als die Kategorie Geschlecht.

Der Text behandelt auch Rassismus von Seiten Rheinmetall entwaffnen in Kassel, am Tag danach und darüber hinaus. Dieser Text richtet sich an alle Menschen, die ihre eigene Positionierung reflektieren, und sich gegen inter*-, trans*-Feindlichkeit und Rassismus stark machen wollen.
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Kassel.
Vermeintlich feministisches Kassel.
Vermeintlich feministisches Kassel auf dem Rheinmetall entwaffnen Camp.
Vermeintlich so QINTA* solidarische Menschen in Kassel.
Netter Versuch, aber: da fehlt noch einiges.
Netter Versuch, aber: wie konnte das passieren?!
Wie konnte das an dem Tag passieren, an dem Malte seinen Verletzungen erlegen ist?
An dem Tag, an dem Malte der homo- und trans*- feindlichen Gewalt erlegen ist?
Wie konnte das im Rahmen der Gedenk-Demo in Kassel passieren?
Netter Versuch, Versuch einer netten Geste, aber nicht zugleich nett gemacht.
Ein Mensch wurde zum Ende der Demo aus dem QINTA* Block verwiesen.
Oder war es ein FLINTA* Block?
QINTA*, FLINTA*, QINTA*…
Schlussendlich, vermute ich, die Einigung auf FLINTA*.

Warum eigentlich?
Vielleicht wegen der Annahme, das QINTA* nicht genügend seien?
Vielleicht weil sich QINTA* mehr Solidarität auf der Demo wünschten?
Vielleicht weil sich cis-Frauen (cis = nicht trans*) im hinteren Block mit cis-Männern nicht wohlfühlten?
Vielleicht weil sich cis-Frauen beim Gedenken an einen trans* Menschen sonst übergangen fühlten?
Warum ist der Unterschied zwischen FLINTA* und QINTA* überhaupt wichtig?

Jetzt hatten wir in Kassel inter*-, trans*-feindliche und rassistische Kackscheiße auf einer Demo gegen trans*-Feindlichkeit und ausgeübt durch cis-Frau(en).
Klar weiß ich nicht, ob die Personen endo (endo = nicht inter*) und cis sind, die den Ausschluss aus dem FLINTA* Block durchsetzten.
Wenn ich meinen eigenen analytischen Blick bezüglich Geschlecht ernstnehme, schreibe ich Menschen von außen kein Geschlecht zu.
Ich gehe ausschließlich von der Selbstidentität aus.
Demnach ist es übergriffig von mir, den ausschließenden Personen endo-cis-Geschlechtlichkeit fremdzuzuschreiben und unhinterfragt von der Richtigkeit dieser Fremdzuschreibung auszugehen.

Aber ich tue es.
Ich tue es, um die Gewaltförmigkeit und Zurichtung kenntlich zu machen, mit der die cis-Mehrheit tagtäglich und jederzeit über unsere inter* und trans* Körper verfügt.
Ich tue es um zu verdeutlichen, dass diese Gewaltförmigkeit auch vor einer linken, vermeintlich so trans* solidarischen Gedenk-Demo keinen Halt macht.
Ich labele die explizit ausschließend handelnde Person als cis-Frau.
Ich tue dies aufgrund der von ihr vollzogenen gewaltförmigen, geschlechtlichen Zuschreibung in Bezug auf einen Mitmenschen in unseren Reihen.
Und ich tue dies aufgrund des Ausschlusses, den sie gegenüber diesem Menschen physisch und uns allen gegenüber psychisch vollzogenen hat.

Ein Mensch mit dem ich unter anderem auf der Demo unterwegs bin, so die cis-Frau mit ihrem weiß sozialisierten Verhalten, sei zu Raum einnehmend.
Der Mensch solle sich zurücknehmen oder von der Demo bzw. zumindest aus dem vorderen Block verschwinden.

Subtile Hinweise, die sich auf den Menschen bezogen haben sollen, um zu verdeutlichen, dass der Mensch hier fehl am Platz sei, seien nicht erkannt und beachtet worden.
Die subtilen Hinweise, so erinnere ich mich nach konzentriertem Überlegen, sind Rufe:
„hey, hier ist ein FLINTA* Block“.
Daraufhin meine Reaktion:
„An wen richtet sich die Aussage?“
Daraufhin: keine Reaktion.

Weil ich mit der Person unterwegs bin, solle ich ihr kommunizieren, dass sie nicht so viel Raum einnehmen solle.
Und überhaupt habe „der Genosse“ hier nichts zu suchen, da dies ein FLINTA* Block sei.
Außer ich könne ehrliche Auskunft darüber geben, dass der Mensch (nicht) cis* ist.

Weil ich für sein Hiersein mit verantwortlich bin, solle ich mit ihm reden.
Das tue ich nicht.
Ich übernehme die Rolle als Opressor_in und_oder Rausschmeißer_in nicht.
Ich sage der cis-Frau, dass ich mit hingehen könnte.
Ich sage ihr, dass ich die Kommunikation nicht für sie übernehme.

Die cis-Frau hatte sich wohl mehr Solidarität versprochen.
Sie wirkt sichtlich empört über meine Reaktion.
Aber sie lässt sich davon nicht aufhalten.
Sie bewegt sich nun selbst auf den Menschen zu.
Sie ordnet ihn umgehend als cis-männlich ein.
Wie ich später erfahre deshalb, weil sich der Mensch vor einigen Tagen an anderer Stelle selbst als cis vorgestellt haben soll.

Dass sie den Menschen einmal fragt, ob er wisse, dass es sich hierbei um einen FLINTA* Block handelt, empfinde ich schon als übergriffig aber okay.
Cis-Frauen Blick eben.
Vielleicht ein wenig verständlich aus ihrem Wunsch heraus nach cis-Frauen Sicherheit.
Doch es bleibt nicht bei der einen Frage.
Sie fragt die gleiche Frage wieder und wieder.
Sie wiederholt die Erklärungen, warum das nicht der Raum für den Menschen sei.
Ich sage zu „meinem Genossen“, der ja direkt von den verbalen Angriffen bedroht ist, und dem weiteren Menschen, mit dem_der ich auf der Demo bin, dass ich jetzt aus dem FLINTA* Block gehen werde.

Wir gehen zusammen raus.
Die cis-Frau kommt hinter uns her.
Es wiederholen sich explizite Fragen danach, ob die Person cis sei.
Und wieder die Erklärung, dass die Person dann in dem vorderen Block nichts verloren habe.
Die Fragen und Erklärungen wiederholen sich so häufig, dass mir schlecht wird.

Die rausgeschmissene Person antwortet, dass sie gegen das von ihr so zugeordnet werden ja gar nichts tun könne.
Entsprechend könne es so oder so nicht okay gewesen sein, im vorderen Block mitgelaufen zu sein.
Der Mensch habe ja nun zu ihrem Unwohlsein beigetragen, was er nicht wollte.
Das vorne Mitlaufen sei demnach unverantwortlich gewesen sagt der Mensch mit einer Entschuldigung.
Und dass er sich eben Solidarität in Bezug auf Rassismus erhofft habe und dachte, dass es gut wäre, die Kämpfe zu verbinden, versucht er zu erklären.
Das alles ist schon viel zu viel Erklärung und Entschuldigung, denke ich.
Diese Erklärungen allein sollten als Hinweis darauf reichen, dass die Fremdzuschreibungen übergriffig sind.

Aber die cis-Frau lässt noch immer nicht locker.
Die betroffene Person erklärt nochmal vertiefend, dass sie von ihr so gelesen werde und zugleich halt männlich sozialisiert worden sei.
Sooo viel Erklärung für ihr grenzüberschreitendes Verhalten.
Die Erklärungen reichen nicht.

„komm, gib’s zu, Du bist schon ein Typ, oder?!“ sagt die cis-Frau mit einem Klang in der Stimme, den ihr euch am Besten selbst ausmalt.
Die weitere Person, mit der ich auf der Demo bin und ich sagen ihr, dass ihr Verhalten transfeindlich ist und dass sie sich jetzt zurücknehmen soll.
Nicht nur aus aktuellem Anlass – dem Todesfall von Malte, aber eben auch deshalb.
Wir sagen, dass sie sich mit trans*-Feindlichkeit befassen solle.
‚Nach der Gedenkveranstaltung dann‘ so ihre Antwort, als sei hier und jetzt nicht der richtige Ort und Zeitpunkt, um direkt damit anzufangen.

Sie bohrt weiter nach, wieder und wieder.
Der Mensch, „der Genosse“, der zu viel Raum eingenommen haben soll, verwickelt sich in eine lange Auseinandersetzung mit der weiß sozialisiert handelnden cis-Frauen-Täterin.
Ich halte es nicht mehr aus und bitte die weitere Bezugsperson von mir, die Demo mit mir zu verlassen.
Ich sage „meinem Genossen“, dass wir jetzt gehen.
Und er fragt mich ernsthaft, ob ich okay mit ihm sei, nach all dem, was gerade passiert ist.
Die ganze Situation ist so feindlich.
Umso mehr irritiert mich seine Reaktion und ich antworte: „Klar bin ich okay mit Dir.“

Wie konnte es zu dieser Situation kommen?
Jetzt schreibe ich diesen Text.

Ich bin trans*, nichtbinär, inter* questioning, weiß, klassistisch bevorteilt, able bodied, neurodivergent und queer und ich habe einen deutschen Pass.
Der ausgeschlossene Mensch wird in vielen, vor allem weißen, Kontexten als Schwarz gelesen und behandelt, ist Künstler_in und war auf der Demo unter anderem als Künstler_in unterwegs.

Ich frage mich:
Wurde ich von der cis-Frau die ganze Zeit über als cis-Frau gelesen oder gar nicht erst als anwesender Mensch wahrgenommen? Vielleicht auch aufgrund meines weiß seins nicht?
Hat die cis-Frau trans, inter* und queere Perspektiven nicht einmal annähernd auf dem Schirm?
Wurde der weitere Mensch, mit dem ich auf der Demo war, von der cis-Frau die ganze Zeit über als cis-Frau gelesen oder gar nicht erst als anwesender Mensch wahrgenommen? Vielleicht auch aufgrund des weiß seins nicht?
Hat die cis-Frau trans, inter* und queere Perspektiven nicht einmal annähernd auf dem Schirm?
Kann sie annähernd nachvollziehen wie verärgernd und verletzend es ist, dass die Person von der cis-Frau so penetrant als cis-männlich eingeordnet wurde?
Wie verärgernd und verletzend es ist, dass eine der wenigen Personen, mit denen ich mich an öffentlichen Orten annähernd sicher fühle, so gewaltvoll aus dem Block verwiesen wird?
Und dann noch bei einer Gedenk-Demo gegen trans*-Feindlichkeit? Warum ist diese Demo überhaupt so weiß? Wenn überhaupt, relativ sicher – so bei einer Demo überhaupt von einem relativ sicheren Ort gesprochen werden kann – dann nur für weiße Menschen?

Was hat das ganze mit Rassismus zu tun?

Dass eine Person, die täglich und am laufenden Band mit extrem feindlichem, antischwarzem Rassismus konfrontiert ist, sich selbst zuvor als cis gelabelt haben soll, kann nicht als Begründung für einen solchen Ausschluss reichen.
Die Unterteilung in cis und trans* ist die Folge der gewaltvoll implementierten, bis in die Gegenwart hineinwirkenden, dominierenden weißen Vorherrschaft. cis-Geschlechtlichkeit wurde uns weltweit im Rahmen kolonialer Eroberungs-, Missionierungs- und Ausbeutungsprozesse mittels Gewalthandlungen auferzwungen.
Die Begriffe, Kategorien, Konzepte und im westlichen Kontext eben zugleich auch Identitäten, cis und trans*, müssen als Werkzeug genutzt werden.
Sie müssen als Werkzeug genutzt werden, um die vorherrschende Meinung von endo-cis-Geschlechtlichkeit als Normalität anzugreifen, zum Wanken zu bringen und schlussendlich als einzig legitime Norm zu zerschlagen.
Die Begriffe cis und trans* bilden den Versuch, aus der gewaltvollen, vermeintlich natürlichen Zweigeschlechterordnung auszubrechen.

Der von der Demo ausgeschlossene Mensch spricht fließend Deutsch, wird vielleicht aufgrund der Größe, vielleicht aufgrund der tiefen Stimme, vielleicht aufgrund des Bartwuchses, vielleicht aufgrund anderer körperlicher Merkmale als männlich gelesen.

Der Angriff auf seinen Körper ist zugleich ein Angriff auf meinen Körper.
Meinen unsichtbar gemachten Körper.
Meinen anders oder auch gar nicht wahrgenommenen Körper.
Meinen weißen, in diesem Moment ebenso binär eingeordneten Körper, der nichtbinär ist.
Der Angriff auf seinen Körper ist ein Angriff auf eine persönliche, intime und kreative Intervention.
Auf eine künstlerisch, politische Intervention im öffentlichen Raum.

die Tanzperformance zweier Menschen und die Awareness-Box mit der Aufschrift „stop violence“ werden als raumeinnehmend gelabelt.
Die Rufe: „stop, stop, stop Rassismus und Sexismus“ werden als raumeinnehmend gelabelt.
Die gezündete Pyro und die riesigen Banner gelten als linksradikal und cool.

In die cis-feministischen Demosprüche von und für weiße cis-Frauen wird lauthals eingestimmt, sie scheinen zu empowern.
Warum werden diese Demosprüche aus den hinteren Reihen, die voller cis-Männer sind, vorne aufgegriffen?
Der Spruch, „stop stop stop Rassismus und Sexismus“, den der ausgeschlossene Mensch gerufen hat, wird von einer Hand voll weißer Menschen recht zaghaft gerufen.
Warum von so wenigen?
Warum verfliegt der Spruch leise im Wind?

Es folgt ein Bericht aus den darauf folgenden Tagen:
Menschen vom Rheinmetall entwaffnen Camp leihen sich die künstlerische Awareness Box mit der Aufschrift „stop violence“ für die Demo am kommenden Tag.
Vielleicht auch noch weitere Arbeiten, die auf dem Camp ausgestellt waren.
Die_der Künstler_in will die Box und einige weitere künstlerische Arbeiten in den Tagen nach der Demo auf dem Camp abholen kommen.
Das ist mit den weißen Menschen, die sich die Box geliehen haben, so besprochen.
Es werde noch mehrere Tage nach dem Camp abgebaut, so sagen sie, und die Arbeiten könnten dort abgeholt werden.
Die_der Künstler_in versucht die Menschen telefonisch zu erreichen.
Das Telefon ist aus.
Auf E-Mails, wird zwar geantwortet, aber auf die Frage nach den künstlerischen Arbeiten folgt keine Reaktion.
Am Montag auf dem Camp ist schon alles abgebaut.
Die Wiese liegt vertrocknet und leer da.
Die Kunstwerke weit und breit nicht zu sehen.
Auch die folgenden Tage bleibt das Telefon aus.
Auf E-Mails mit der Nachfrage nach den Kunstwerken erfolgt weiter keine Reaktion.

Die Kunstwerke einer Schwarzen Künstler_in.
Einerseits als Raum einnehmend gelabelt.
Andererseits als wertlos.
Im dritten Schritt womöglich von „Feminist_innen“ angeeignet, wie andernorts bereits geschehen.
Die Boxen sind weg. Sie sind vom Rheinmetall entwaffnen Camp verschwunden.
Vielleicht bei einer Person zu Hause.
Vielleicht auf dem Müll.

Die Kunst Schwarzer Künstler_innen wird in weißen Räumen entwertet.
Vor allem dann, wenn sie nicht bestimmten, von weißen Menschen definierten, Kriterien entspricht.
Schwarzen Künstler_innen wird ihr kreatives Potential abgesprochen.
Und ihren Produkten, Interventionen und Performances ein kreativer, kritischer Anspruch.
Was noch sein kann:
die Menschen haben sich die Boxen zwar geliehen, sie aber eigentlich für hässlich befunden.
Anstatt die Kritik an die_den Künstler_in zu kommunizieren, der „einfache“ Weg:
die Entwendung oder Entsorgung der Kunstwerke.
Und anschließend: keine Reaktion.

Warum wollen weiße Menschen darüber bestimmen, wie Schwarze Menschen Widerstand leisten?
Warum muss der Widerstand Schwarzer Menschen auf eine bestimmte Weise aussehen?
Warum wurde diese Kritik, sollte es sie gegeben haben, nicht an die_den Künstler_in zurückgemeldet?

Oder waren es wiederum Gefühle wie Hass oder Neid, die dazu führten, dass die Boxen am Ende verschwanden?
Ist es die Sorge, dass Schwarze Künstler_innen innerhalb des bestehenden, kapitalistischen Systems überleben könnten?
Ist es der Wunsch, dass sie ihre Kunst nicht mal zum Zweck des puren Überlebens kapitalistisch verwerten?
Ist es die Unterstellung, aus dem bestehenden kapitalistischen System Profit zu schlagen, der Schwarzen Menschen aus der Sicht weißer Menschen überhaupt nicht zusteht?

In was für einer linksradikalen Szene wollen wir in Kassel eigentlich leben?

L. (Pronomen L.), N. (keine Pronomen) und Awareness Support Schwarz-Gelb.