Reclaim-The-Streets-Demo am 29.10.2021

Hallo, ich bin hier von MeeTIN* Up, einer Empowerment Gruppe für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen.

Wir sind eine Gruppe die explizit offen sein möchte für Schwarze, Indigene und Menschen of Colour BIPoC). Wir haben die Rede aus einer weißen, christlichen, deutschen Positionierung heraus geschrieben und sprechen aus selbiger Perspektive. Wir sind in dem Sinne strukturell bevorteilt, dass wir nur manche Erfahrungen mit trans, inter, nichtbinären BIPoC teilen, viele der hier thematisierten Gewalt aber wiederum nicht erleben müssen. 

Zunächst eine Inhaltswarnung: ich werde ausführlicher über Transfeindlichkeit und Rassismus sprechen. Wem das gerade zu viel ist, die_der kann sich vielleicht kurz entfernen oder mental darauf vorbereiten.

Das Motto dieser Demo lautet: „die Straße zurückerobern“. Ein sehr wichtiges Thema besonders für Schwarze Menschen, People of Color, Jüd*innen und/oder queere Menschen. 

Ich spreche heute hier,denn als nichtbinäre trans* Person überlege ich mir jeden Tag, bevor ich aus dem Haus gehe: präsentiere ich mich heute der Welt so, wie ich mich wohl und schön fühle? Oder gehe ich so nach draußen, dass ich hoffentlich nicht den ganzen Tag lang von unbekannten Menschen angestarrt werde? Beides gleichzeitig geht für mich nicht. Und es bleibt immer ein Gefühl: Angst; die Blicke bin ich schon gewohnt, sie tun an manchen Tagen mehr weh als an anderen. Aber ich weiß nie, ob und wenn ja wann es zu Beleidigungen oder körperlicher Gewalt kommen wird.

Mit diesen Ängsten bin ich nicht alleine, wie z.B. eine Studie der EU-Grundrechteagentur zeigt. In dieser Studie heißt es, dass 45% von trans* Personen es auf der Straße vermeiden, sich in ihrem richtigen Geschlecht zu zeigen, da sie Angst vor Gewalt haben. Und diese Angst ist nicht so unrealistisch, denn bei 48% ereignete sich der letzte physische oder sexualisierte Angriff auf der Straße. In Kassel ist die Friedrich-Ebert-Straße ein konkreter Ort der Unsicherheit. Der rassistische Angriff vor einem Monat zeigt das sehr deutlich.

Auch unter trans* Menschen sind es Schwarze trans* Frauen und trans* Frauen of Color, die am meisten von Gewalt betroffen sind. Der Großteil der trans* Menschen, die ermordet werden, sind Schwarze und Latinx trans* Frauen. Gewalt hat viele Formen: Strukturelle und Institutionelle Gewalt, wie Armut, fehlender Zugang zu nötiger Gesundheitsversorgung, die Stigmatisierung von Sexarbeit, Illegalisierung und vieles mehr sind Probleme. Hinzu kommen die rassistischen Behörden, das ungerechte Asylsystem – ganz explizit für queere Geflüchtete – und Ausländerrecht.

Ein Beispiel ist der Tod von Ella, eine Trans Frau of Color, die sich im September diesen Jahres in Berlin das Leben genommen hat. Ellas Suizid hat die Diskriminierung auf erschreckende Weise sichtbarer gemacht, die trans* Frauen, insb. mit Fluchterfahrung in Deutschland erleben. Dass diese Diskriminierung erst nach ihrem Tod thematisiert wird, ist sehr typisch und nichts neues – Und ebenfalls sehr bezeichnend ist, dass die Betroffenheit genauso schnell wieder abebbt, wie sie gekommen ist. 

Aber die Betroffenheit und die daraus resltierenden Handlungen dürfen nicht erst dann einsetzen, wenn Menschen Betroffene von Gewaltverbrechen werden oder sich das Leben nehmen. Das gilt für alle rassistischen, antisemitischen, transfeindlichen und weiteren Gewaltverbrechen von denen wir regelmäßig hören – nicht zuletzt in Kassel mit dem Mordversuch an Efe. Auch dort gab es den Bezug zu dem Ort hier, denn der Täter ist auf der Friedrich-Ebert-Straße zu Efe ins Taxi gestiegen. Der rassistische Angriff hier auf der Friedrich-Ebert-Straße letzten Monat und der Angriff im Nordstadtpark vor ein paar Tagen reihen sich nur noch ein in eine große Masse an Ohnmachtsgefühl, Trauer und Wut.

Wir sind jedes Mal wieder geschockt, aber leider nicht überrascht. 

Denn wir wissen, dass Rassismus, Antisemitismus, Transfeindlichkeit und viele weitere Formen der Diskriminierung in unserer Gesellschaft normalisiert sind, im Alltag passieren und dennoch unhinterfragt bleiben. 

Um etwas zu verändern, müssen wir die Strukturen angreifen. Rassismus, Cis und Endo-Sexismus, Transfeindlichkeit und mehr sind institutionelle und strukturelle Probleme, also Probleme unserer ganzen Gesellschaft.

Und ja klar – wenn wir uns als Ziel setzen, das diskriminierende und stimatisierende sogenannte Transsexuellengesetz abzuschaffen oder das rassistische Asylgesetz zu ändern, werden wir vermutlich nicht so leicht und schnell ans Ziel kommen. Aber wir können bei uns selbst anfangen, uns damit auseinanderzusetzen, und dann das, was wir gelernt haben, einbringen: in die Schule, die Uni, die Arbeit, die Familie, den Freund*innenkreis, die politische Arbeit, den Verein und in alle Räume, in denen wir uns aufhalten. 

An dieser Stelle möchte ich auch nochmal direkt die Leute ansprechen, die auf der Friedrich-Ebert-Straße feiern gehen oder arbeiten. Es ist auch eure Aufgabe, mit dafür zu sorgen, dass sich hier alle Menschen wohlfühlen können. Physische Gewalt kommt nicht aus dem Nichts, sondern hat eine Basis. Sie speist sich zum Beispiel daraus wegzusehen, wenn ein Türsteher Schwarze und People of Color an der Tür abweist. Oder tatenlos zu bleiben, wenn jemand beleidigt wird oder ohne Zustimmung angefasst wird. Sie manifestiert sich auch in den Fragen:  „woher kommst du?“ oder „bist du eine Frau oder ein Mann?“ womit den Gefragten immer wieder das Gefühl geben wird, nicht dazuzugehören oder mit ihren Erfahrungen unsichtbar zu sein. 

Vor allem aber brauchen wir Verbündetenschaften. Sie beginnen da, wo wir selbst sie aktiv herstellen. Verbündetenschaft ist ein Prozess – jeden Tag. Verbündetenschaft beinhaltet vieles: zum Beispiel sich zu informieren und Betroffenen zuzuhören. Manche anscheinend selbstverständlichen Dinge zu verlernen und das eigene Umfeld zu verändern. Manchmal müssen wir Widersprüche aushalten. Und wir brauchen negative Konsequenzen für diejenigen, die diskriminieren. 

Aber auch, wenn wir selbst von Diskriminierung betroffen sind, können wir uns organisieren, herausfinden, wo wir bereits Verbündete haben, und uns mit anderen zusammentun, die ähnliche Erfahrungen machen wie wir. In diesen Räumen können wir lernen, dass wir nicht alleine sind und dass wir gemeinsam mehr erreichen.

Und damit möchte ich meine Rede schließen: Mit einer ganz simplen und in unserer Gesellschaft leider immer noch radikalen Forderung: Alle Menschen, Menschen of Color, Schwarze Menschen, Trans- Inter, NB-Personen usw. müssen sich überall sicher fühlen können. Gewalt und Diskriminierung – egal in welcher Form –  dürfen nie akzeptiert werden. Deshalb: Let’s reclaim the streets!