Zwei feministische Emails nach dem 08.03.2022

Guten Tag,

gestern war Feministischer Kampftag und wir haben uns gefreut.

  1.  Es scheint hier ein grundlegendes Missverständnis vorzuliegen, was es bedeutet Sex Arbeiter*innen zu unterstützen. Ja, natürlich gibt es Feminist*innen die Sexarbeit verklären, jedoch trifft dies keinesfalls das worum es uns hier geht (und wir möchten behaupten im aktuellen Diskurs um Rechte von Sexarbeitenden). Sexarbeit ist Arbeit. Diesen Satz möchtest du mit absurden Phantasmen von Arbeitszwang entkräften. Du beginnst deine Mail mit „Liebe Genoss*innen“ und verlierst dann kein Wort über das Wort „Arbeit“ in Sex Arbeit. Sexarbeitende zu unterstützen heißt vor allem eins: ihren Arbeitskampf zu unterstützen. Wir alle möchten, dass Sexarbeitende sicher und mit fairer Entlohnung ihrer Arbeit nachgehen können. Dies können sie aktuell nicht, denn sie werden kriminalisiert und institutionell und gesellschaftlich diskriminiert. Die Behauptung, wir würden Gefahren für Sexarbeitende ausblenden, ist haltlos. Wir kämpfen dafür die Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden zu verbessern, indem ihnen insitutioneller und gesellschaftlicher Schutz zukommt. Dieser Schutz kann ihnen nur zukommen, wenn Sexarbeit institutionell wie jede andere Arbeit behandelt wird, das heißt sie legalisiert wird. Wir fragen also zurück: Wenn Feminist*innen, die das schwedische Modell oder ein komplettes Verbot der Sexarbeit fordern, wirklich Sexarbeitende schützen möchte, wieso sind sie dann dagegen, dass Sexarbeitende rechtlichen Schutz, ausreichende und bezahlbare Gesundheitsvorsorge und gesellschaftliche Anerkennung erfahren für die Arbeit die sie tun?
  2.  Wir möchten darauf hinweisen, dass Sexarbeit weit mehr einfasst als Prostitution. Unter Sexarbeit sind alle sexuellen Dienstleistungen zu verstehen. Dies können Strippen, Pornos, Peep Shows etc sein, umfasst nach unserem Verständnis aber auch Sexualassistenz, die für manche Menschen schlichtweg notwendig ist um Sexualität ausleben zu können. Feminist*innen, die Sexarbeitende aus ihrem Feminismus ausschließen, versperren sich auch der intersektionalen Betrachtung des Themas Sexarbeit. Dies betrifft die Formen von sexuellen Dienstleistungen, die Kund*innen, aber auch die Sexarbeitenden selbst. Feminist*innen, die Sexarbeit einschränken oder ganz verbieten wollen, berufen sich dabei darauf, dass alle Sexarbeit dazu beitrage bereits vorhandene Geschlechterungerechtigkeiten zu vertiefen. Ihrer Meinung nach fördert Sexarbeit Objektivierung. Diese Argumentationslinie ist unheimlich schädlich, denn sie macht marginalisierte Arbeiter*innen verantwortlich für das Leid von uns allen. Natürlich müssen wir dann hier von victim blaming sprechen, was denn sonst? Das Ziel muss sein, dass Sexarbeitende ihre Arbeit mit Würde und Respekt ausführen können und zwar mit Arbeitsrechten, egal welche Arbeit sie tun.
  3. Es gäbe zu dem Thema Sexarbeit natürlich noch viel mehr zu sagen, aber wir müssen noch auf was anderes zu sprechen kommen, was uns in deiner Mail geärgert hat: Deinen Vorwurf eines autoritären Sprechverbots. Das Bündnis hat weder den Wunsch, noch die Macht Sprechverbote zu verhängen. Das gesellschaftliche Klima und die feministische Szene sowohl in Deutschland als auch international ist keinesfalls ein Ort an dem Swerfs nicht mehr reden können oder dürfen. Nein, im Gegenteil, es gibt viele sehr präsente Stimmen der Swerf Bewegung und ganze alteingesessene feministische Organisationen die Swerf Ideologie vertreten, darunter zum Beispiel die Emma, Terre des femmes oder der Blog Störenfriedas. Woher kommt also dein Alarmismus? Faktisch können viele Sexarbeitenden, trans Menschen, muslimische Menschen in diesen Räumen und auf ihren Veranstaltungen nicht sicher sein. Hast du denen auch eine Mail geschrieben wie autoritär die sich verhalten? Liest Alice Schwarzer grade, dass sie „Feministische […] Debatten […] autoritär einseitig“ abschneidet? Lasst uns dabei nicht vergessen welche Trag- und Reichweite Alice Schwarzer, die Emma und TdF haben und welche Reichweite das Bündnis. Und während das Bündnis sich auf die Seite von marginalisierten Arbeiter*innen, also Genoss*innen gestellt hat, schlagen Alice Schwarzer, die Emma und TdF immer schön nach unten und frönen ihrem anti-muslimischen Rassismus, ihrer Transfeindlichkeit und eben auch ihrem Wunsch Sexarbeit zu verbieten und damit Sexarbeitende in die Illegalität zu drängen. Lieber nehmen sie das Narrativ an, dass Sexarbeit moralisch falsch sei, als tatsächlich was für die Lebensumstände und die Sicherheit von Sexarbeitenden zu tun. Wir fragen uns einfach, wie du zu deinem Vorwurf des autoritären Sprechverbots kommst, wenn Swerfs bei weitem nicht die Underdogs, die Rebell*innen sind, die gegen einen Mainstream ankämpfen müssen. Nein, das sind sie nicht. Sie könnt fast überall sprechen, nur nicht gestern, hier in Kassel, zum Glück! Und trotz der expliziten Ausladung, waren sie trotzdem da. Mit Schildern haben sie ihre Sexarbeiter*innenfeindlichen Positionen zur Schau gestellt, haben sich den Raum einfach genommen auch wenn sie nicht erwünscht waren und ihn damit für Sexarbeitende unsicher gemacht. Diese Held*innen waren im Großteil Männer, die sich auch nach Aufforderung der Lautis nicht geschämt haben sich gegen eine von FLINTAS organisierte Demo zu stellen und Raum einzunehmen auf einer Demo, wo grade Männer sich mal zurückhalten dürften und sich nach den Wünschen der Veranstalter*innen richten. So viel zum Thema Swerfs und feministischer Solidarität.
    Gestern sollten hier in Kassel Sexarbeitende willkommen geheißen werden, ihnen sollte signalisiert werden: hier wird eure Arbeit nicht abgewertet, hier seid ihr und eure Forderungen willkommen. Das ist das Mindeste.  Ja, feministischer Diskurs ist wichtig, aber wir diskutieren nicht über die Rechte von marginalisierten Menschen. Nein, Diskussionskultur muss nicht jede Meinung willkommen heißen.
  4.  Sexarbeit ist Arbeit und der Kampf von Sexarbeiten heißt Arbeitskampf!
  5. Für eine Legalisierung und Entstigmatisierung von Sexarbeit!
  6.  Für sichere Sexarbeit, in der der Schutz von Sexarbeitenden das höchste Gut ist!
  7.  Gegen jede Illegalisierung, die Menschenhandel und Zwangsprostitution vorantreibt!

 

Hallo an alle,

wir, haben uns entschieden nicht mehr inhaltlich in die Tiefe der Argumentation zu gehen, weil wir dies bereits getan haben. Zum Nachlesen steht die entsprechende Mail weiter unten. Wir möchten, bezugnehmend auf die Mail vom Bündnis für Vielstimmigkeit im Feminismus, aber noch ein paar Dinge festhalten, die wir wichtig finden.

  • Es kann niemandem ein Tag oder ein Datum gegenommen werden, aber bei einer selbst organisierten Demo können Organisierende sehr wohl entscheiden, wer erwünscht ist, und wer nicht.
  • Der Vorwurf einer Spaltung kommt eigentlich immer von privilegierteren Personen(-gruppen) gegen weniger privilegierte Gruppen, die Kritik äußern.
  • Mensch kann nichts spalten, was nie eins war. Das heißt zum einen, dass wir immer gleichzeitig verschiedene Kämpfe im Feminismus und gegen das Patriarchat gekämpft haben. Andererseits heißt das auch, dass es nie eine tatsächliche, konkrete  Zusammenarbeit gab, die nun plötzlich nicht mehr stattfinden könne. Beispielsweise melden sich keine Feminist*innen zum Trans Day of Visibility oder Trans Day of Remembrance bei uns, um zu fragen, wie sie uns unterstützen können. Die Zusammenarbeit, die stattfindet, beschränkt sich häufig auf Tokenism, um das eigene Image zu verbessern.
  • Den einen gemeinsamen Kampf gegen die „gesamtgesellschaftlich großen (antifeministischen) Bedrohungen“ gibt es also nicht. Zudem gehen einige antifeministische Entwicklungen aus radikalfeministischen, SWERF und TERF Kreisen selbst hervor.
  • SWERFs und sich als „swerfig“ bezeichnende Personen habe eine riesen Reichweite und verschiedene Plattformen, mit der eine entsprechende Macht einhergeht.
  • Zuletzt sei gesagt, dass die eigene Bereitschaft gegenüber anderen „fehlertolerant, freundlich und offen zu sein“ nie in Abhängigkeit dazu stattfinden darf, ob die anderen Kritik an ihnen äußern, dann ist es keine echte Bereitschaft.