Redebeitrag CSD 2022

Ich gehöre zu MeeTIN* Up, einer Gruppe für trans*, inter*, nichtbinäre, agender und genderqueere Menschen und alle anderen, die sich nicht im endo cisnormativen  Geschlechtssystem wiederfinden. Endo bedeutet nicht inter* und cis bedeutet nicht trans*.
Auch letztes Jahr haben wir von MeeTIN* Up beim CSD einen Redebeitrag gehalten. Was hat sich seitdem geändert?

Aus meiner Sicht, nicht viel.
Das Selbstbestimmungsgesetz, über das ich letztes Jahr geredet habe, ist noch nicht da. Die Ampel hat es versprochen, aber bisher nicht umgesetzt. Wir fordern die Parteien weiterhin dazu auf, das TSG abzuschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen.
Die Debatte über die Gesetzesänderung hat die Bedürfnisse von trans* Menschen in die Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft gerückt. Das könnte gut sein, wenn es dadurch positive Veränderungen gäbe. Aber Sichtbarkeit ist nicht immer zielführend. In diesem Fall haben sich viele TERFs,sich selbst als solche bezeichnende Radikalfeminist*innen, die trans Menschen aus ihrem Feminismus ausschließen, geradezu auf das Selbstbestimmungsgesetz und alles was damit zusammenhängt gestürzt.
Auch TERFs gab es letztes Jahr schon – und sie sind immer noch da und wirken sogar noch präsenter als vorher. Wieder und wieder werden ihnen Plattformen geboten, auf denen sie die Ziele von trans* Aktivist*innen falsch darstellen und gegen die Selbstbestimmung von trans Menschen ankämpfen.
Trans* Personen, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugeschrieben wurde, werden als gefährlich dargestellt, während trans* Personen, die bei der Geburt als weiblich kategorisiert wurden, als „verlorene Mädchen“, die der Manipulation durch die „trans Agenda“ zum Opfer gefallen sind dargestellt werden. 
Es vergeht kaum ein Monat, in dem in vermeintlich linken Zeitungen keine Artikel veröffentlicht werden, die gegen trans* Menschen hetzen – von der Erlaubnis, in der richtigen Kategorie Sport zu machen bis zu Hormonblockern für trans* Jugendliche wird alles kritisiert, miskonstruiert und mit längst wiederlegten Argumenten attackiert. 
Wenn ich solche Artikel lese wünsche ich mir nur eines: Ich wünsche mir, dass cis Menschen uns endlich in Ruhe lassen, denn unsere Identitäten betreffen sie nicht und gehen sie nichts an. 
Und es sind nicht mal nur cisendohetero Menschen, die diese Meinungen unterstützen: cis queere und auch biologistisch argumentierende trans Menschen sind immer wieder in transfeindlichen Bewegungen zu finden. Queere Journalist*innen schreiben transfeindliche Kolumnen, cis Lesben behaupten, sich vor den Rechten von trans* Frauen schützen zu müssen und Gruppen wie die LGB Alliance behaupten, sich für queere Rechte einzusetzen, während sie ausdrücklich gegen trans* Menschen hetzen.
Endocis queere Menschen denken, wenn sie sich nur genug an die Mehrheitsgesellschaft anpassen und stärker marginalisierte Mitglieder der queeren Community dafür opfern, würden sie selbst in Ruhe gelassen. Natürlich wird das nicht nur nicht funktionieren, sondern es ist auch unfassbar unsolidarisch. Anpassung ist nicht der Weg zu einer queerfreundlichen Gesellschaft!
Ich möchte mich nicht mehr an cisnormative Vorstellungen anpassen müssen, die ich nicht erreichen kann.
Ich möchte keine Anpassungspolitik mehr sehen, sondern queer Liberation!
Happy Pride, bitte ohne Cops und Regenbogenkapitalismus!