Dieser Text ist von Fred geschrieben. Mie ist eine weiß-christlich-deutsch sozialisierte Person aus einem akademischen Haushalt mit wenig Geld. Fred ist trans*/nichtbinär und queer. Mie ist außerdem fett, ver_rückt und be_hindert. Fred erfährt keine direkte Transmisogynie.
Inhaltsangaben: Fettfeindlichkeit, Rassismus, Kolonialismus, Einsamkeit / Vereinzelung, Ableismus, Fitness, Essstörungen, Klassismus, Konsumkritik, Körpernormen, Feminismus, Transmisogynie. Bitte achte beim Lesen auf dich <3
Begriffe
Bevor ich anfange, möchte ich ein paar Begriffe erklären. Gut möglich, dass meine Perspektive auf diese Begriffe eine andere ist, als andere Menschen sie teilweise haben. Schreib gerne eine E-Mail und lass uns in Austausch darüber kommen!
mehrgewichtig. Der Begriff ist nicht perfekt. Denn er bezieht sich immer noch auf eine gesellschaftliche Norm und stellt diese Norm in den Mittelpunkt. „mehr als was?“ wäre die erste Frage, die mir bei dem Begriff in den Sinn kommt. Trotzdem ist es etwas neutraler, denn „mehr“ ist nicht automatisch etwas schlechtes.
Dick_Fett. Das ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, wenn sie über sich selbst sprechen. Beide Wörter „dick“ und „fett“ werden oft als Beleidigungen verwendet. Deshalb benutzen Aktivist*innen sie für sich und deuten sie positiv um. Ich wäre hier allerdings vorsichtig, inwiefern ich andere Menschen ohne ihre Zustimmung so bezeichnen würde. Für viele Menschen sind diese Begriffe auch mit viel Verletzung und schlechten Erfahrungen verbunden.
Das Fett Spektrum: Small Fat, Mid Fat, Large Fat, Super Fat / Infinifat. Diese Kategorien werden innerhalb von Fettaktivismus oft verwendet, um Machtverhältnisse innerhalb dieser Gruppe deutlich zu machen. Denn auch unter mehrgewichtigen Menschen haben diejenigen mit den kleinsten Körpern oft mehr Privilegien, werden mehr gesehen und gehört und dominieren Räume. Auf deutsch übersetzt bedeuten die Worte ungefähr: Klein-fett/dick, mittel-fett, groß-fett/sehr fett, super-fett und unendlich-fett.
Fettfeindlichkeit/Fettenfeindlichkeit/Anti-Fatness. Das ist ein Überbegriff für die Diskriminierung von mehrgewichtigen Menschen und die Denkweise, die dahinter steckt. Wichtig ist, wie bei jeder Form von Diskriminierung: Es gibt verschiedene Ebenen, zum Beispiel die verinnerlichte Ebene, direkte / persönliche Ebene, die gesellschaftliche Ebene, die institutionelle Ebene und mehr. Fettfeindlichkeit ist nicht nur eine Einstellung von bestimmten Menschen, sondern eine gesellschaftliche Struktur, die uns alle immer beeinflusst.
Ableismus. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Machtstruktur. Darunter werden Menschen nach ihren Fähigkeiten eingeteilt und erhalten Privilegien oder werden davon abgehalten, ihre Fähigkeiten zu nutzen. Besonders be_hinderte Menschen werden abgewertet und erfahren strukturelle Diskriminierung. Fettfeindlichkeit kann als Teil von Ableismus gezählt werden. Das liegt daran, dass Ableismus nicht nur Menschen betrifft, die unter einer Krankheit oder Schmerzen leiden, sondern auch Menschen, die vom medizinischen System als „krank“ bezeichnet werden und deshalb Nachteile erfahren. Da das etwas abstrakt klingt, nenne ich ein Beispiel: Wenn ich als Fette Person in eine Ärzt*innenpraxis gehe, um eine bestimmte medizinische Behandlung zu bekommen, dann gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ich diese Behandlung nicht bekomme, denn sobald die medizinische Fachperson meinen Fetten Körper sieht, sieht sie ihn als Ursache für alle meine Probleme und schickt mich dann wieder nach Hause, „um abzunehmen“.
Fett Aktivismus / Body Positivity / Body Neutrality / Fat Liberation / Fat Acceptance (und viele mehr). Ich gehe nicht im Detail darauf ein, aber möchte nur kurz erwähnen, dass diese Ideen und Bewegungen ursprünglich als Widerstand gegen Fettfeindlichkeit und größtenteils gegen Rassismus entstanden sind. Diese Ideen sind nicht neu, sondern zu einer ähnlichen Zeit entstanden wie andere Bürger*innenrechtsbewegungen in den USA in den 1960ern. Der Begriff Body Positivity wird heute von vielen Fett-Aktivist*innen abgelehnt. Während er ursprünglich aus dem Fett-Aktivismus kam und sehr radikal gedacht wurde, wird er heute auch viel von dünnen, weißen, cis Frauen genutzt und angeeignet.
Verwobenheit. Fettfeindlichkeit hat seinen Ursprung in Rassismus, wie Sabrina Strings in dem Buch „Fearing the Black Body“, zeigt. Das wird auch deutlich in Kämpfen gegen Anti-Fatness, die von der Arbeit von Schwarzen FLINTA geprägt sind und eng mit Schwarzen Bewegungen zusammenhängen. Das ist sehr wichtig, im Hinterkopf zu behalten. Ich hoffe, dass ich irgendwann Zeit finde, noch mehr darüber zu schreiben, wie genau fettfeindliche Annahmen und Ideen aus kolonialer Denkweise kommen und eine gewisse weiß-christliche Wahrnehmung fortschreiben. Dieser Artikel gibt einen guten Start in das Thema: https://rosa-mag.de/sabrina-strings/ . Außerdem finde ich es wichtig, Geschlecht, Queerness, Klasse und Be_hinderung immer im Hinterkopf zu behalten. Mehr dazu ein anderes Mal.
FLINTA. Steht für Frauen, Lesben, inter*, nichtbinäre, trans* und agender Personen. Die Abkürzung soll geschlechtliche Vielfalt deutlich zeigen, während über patriarchale Machtstrukturen gesprochen wird. Die privilegierte Gruppe sind endo cis Männer.
BIPoC. Steht für Black, Indigenous und People of Color oder auf deutsch Schwarze, indigene und Menschen of Color. Schwarz und Person of Color sind Selbstbezeichnungen von Menschen, die Rassismus erfahren, und „indigen“ wurde in den Sammelbegriff mit hineingefügt, um die Existenz von indigenen Menschen hervorzuheben.
Vereinzelung als Fette Person
Ich bin nicht im Kampf gegen Fettfeindlichkeit organisiert. Das macht mich oft traurig und führt dazu, dass ich mich noch hilfloser fühle. Meine Beziehung zu meinem Körper ist nicht leicht und erfordert viel Arbeit. Ich stelle mir manchmal vor, wie heilend es sein könnte, gemeinsam mit einer kleinen Community diese Prozesse zu durchgehen. Und gleichzeitig ist es schwierig, sich zusammenzuschließen. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Fettfeindlichkeit ist gesellschaftlich immer noch sehr akzeptiert. Im Vergleich zu anderen Diskriminierungsformen wird Fettfeindlichkeit meistens nicht als Diskriminierung gesehen. Klar: unsere Gesellschaft ist voller Machtstrukturen und das wird sich nicht so schnell ändern. Aber bei gewissen Diskriminierungsformen gibt es zumindest eine gesellschaftliche Übereinstimmung darüber, dass es sie gibt und die ein Problem sind. (Auch wenn dann meistens trotzdem nichts gemacht wird und privilegierte Menschen keine Verantwortung bei sich selbst suchen.) Bei Fettfeindlichkeit ist das aber nicht so. Das kann durch zwei gesellschaftliche Annahmen erklärt werden:
- Fettsein wird als fundamental ungesund gesehen.
- Fettsein wird als Folge von individuellem Fehlverhalten gesehen.
Menschen gehen grundsätzlich davon aus, dass dicke_fette und mehrgewichtige Menschen durch bewusste Veränderungen in ihrem Leben dünn werden könnten. Und dass sie das nicht machen, weil sie zum Beispiel „zu faul“ dafür sind, „nicht willensstark genug“ oder dass sie nicht genug Wissen darüber haben, wie das geht. (Faulheit und fehlende Willensstärke sind übrigens auch Teile von rassistischen Bildern.) Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass Fettsein sehr schlecht für die Menschen ist. Ausgehend von diesen beiden Annahmen (die übrigens beide falsch sind 😉 ) kann dann erklärt werden, dass Menschen mir regelmäßig Diättipps geben, oder sagen, dass sie „sich Sorgen um meine Gesundheit machen“, ohne dass das dann von anderen Menschen als Diskriminierung gesehen wird. Tatsächlich gibt es sogar viele Menschen, die denken, dass es gerechtfertigt und sogar hilfreich sei, gemein zu mehrgewichtigen Menschen zu sein, weil das die Menschen dazu motivieren könnte, abzunehmen, und das langfristig gut für den Menschen sein könnte. Ich gehe hier mal nicht weiter darauf ein, was für ein Quatsch und wie fremdbestimmt das ist.
Was viel wichtiger ist: dadurch, dass Fettfeindlichkeit gesellschaftlich so akzeptiert ist und so selten hinterfragt wird, glauben viele mehrgewichtige Menschen selbst, dass diese Annahmen stimmen. Bevor ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, habe ich mich oft geschämt, dass ich zu faul und nicht willensstark genug sei, um abzunehmen. Als Folge davon habe ich nicht nur meinem eigenen Körper sehr viel Gewalt angetan, sondern auch gar nicht darüber gesprochen. Immer wenn ich Ungerechtigkeit erfahren habe, habe ich mir unbewusst gedacht, dass ich das verdient habe. Ich habe auch nicht sehr positiv über andere mehrgewichtige Menschen gedacht. In diesem Modus wäre ich nie auf die Idee gekommen, mir Verbündete zu suchen und gemeinsam aktiv zu werden! Ich denke, dass das ein Grund dafür ist, dass es wenige Räume von und für dicke_fette Menschen gibt.
Ein weiterer Grund für meine Vereinzelung ist auch die Mehrfachmarginalisierung, die ich als Fette, queere, trans*, mehrfach be_hinderte Person erlebe. Nicht jeder dicke_fette Raum wäre automatisch safe für mich (angenommen, es gäbe überhaupt welche…). Was, wenn ich dort dann Queerfeindlichkeit erlebe? Oder der Raum gar nicht für Menschen mit Trauma-Erfahrungen ausgelegt ist? Oder, oder, oder…
Der letzte Grund: Ich bin viel in linken und (queer-)feministischen Räumen unterwegs und treffe dort selten dicke_fette oder mehrgewichtige Menschen.
Fettsein in linken Räumen
Schon seit längerem fällt mir immer wieder auf: ich bin bei einem Treffen oder Plenum und um mich herum sind nur dünne Menschen. Plötzlich nehme ich meinen eigenen Körper sehr bewusst wahr. Er wirkt wie ein Fremdkörper in diesem Raum. Und dann frage ich mich: Warum sind hier keine anderen mehrgewichtigen Menschen? Denn es gibt gar nicht so wenig von uns. Aber sie sind nicht hier. Und auch ich spüre oft ein ganz leichtes Unwohlsein, auch wenn ich es schnell wieder wegschiebe. Und meistens könnte ich gar nicht so genau benennen, woran es liegt. Daher habe ich mal so ein paar Gedanken gesammelt. Vielleicht können sie dich zum Nachdenken bringen.
Aktivismus und Fitness
Es ist eigentlich ein falsches Bild, dass Aktivismus und Fitness in meinem Kopf so stark miteinander verwoben sind. Denn der meiste Aktivismus, den ich in den letzten Jahren kennengelernt habe, bestand eigentlich aus Fürsorge-Arbeit, Vernetzung und vor allem viel Herumsitzen und Reden. Diese Sachen sind aber natürlich nicht so spektakulär, wie schwarz angezogen auf einer Demo zu laufen, auf einen Baum zu klettern oder vor der Polizei wegzulaufen. Deshalb bekommen diese Tätigkeiten oft mehr (Medien-) Aufmerksamkeit. Besonders, bevor ich angefangen habe, mich in linken, (queer-) feministischen und antirassistischen Gruppen zu vernetzen, hatte ich dieses Bild in meinem Kopf, dass Aktivismus viel mit körperlichen Fähigkeiten und Fitness verbunden ist. Und obwohl ich inzwischen sehr gut weiß, dass diese ganzen Aktionen nur deshalb überhaupt möglich sind, weil im Hintergrund ganz viele Menschen unauffällige Arbeit machen, habe ich sehr oft Schuldgefühle und das Gefühl, nicht genug zu machen, weil ich eben nicht in der ersten Reihe mitlaufen kann. Ich hoffe, du denkst jetzt nicht, dass mehrgewichtige Menschen immer körperlich unfit sind. Im Gegenteil: es gibt fitte und unfitte mehrgewichtige Menschen und es gibt fitte und unfitte dünne Menschen. Diese beiden Kategorien haben zwar manchmal einen Zusammenhang, aber Spoiler Warnung: das liegt nicht an Fett, sondern an der Gesellschaft. Bei dünnen Menschen wird jedenfalls oft automatisch davon ausgegangen, dass sie fit sind. Und Menschen achten nicht so sehr darauf. Und wenn ich als Fette Person etwas nicht so schnell, so lange, so gut kann, dann habe ich oft das Gefühl, dass eine Art Scheinwerfer auf mich gerichtet ist.
Wenn mehrgewichtige Menschen nicht automatisch unfit sind, warum ist dann die Verbindung von Aktivismus und Fitness ein Problem? (rhetorische Frage) Es liegt daran, dass Räume, die mit Fitness verbunden sind, oft besonders fettfeindlich sind. Viele mehrgewichtige Menschen meiden diese Räume, da Sportangebote auf dünne Körper zugeschnitten sind und sie dort viel Diskriminierung erfahren, zum Beispiel abfällige Kommentare und Blicke oder Menschen, die ihnen zu der Entscheidung, Sport zu machen „gratulieren“.
Für mich wird auch immer wieder deutlich, dass die Aktionsformen, die mehr Aufmerksamkeit bekommen, oft von männlichen, kolonialen und ableistischen Mustern geprägt sind. Warum müssen wir denn gemeinsam vor der Polizei wegrennen? Gibt es keine Alternative dazu? Ich finde die Antwort darauf „du kannst dich ja nächstes Mal für die Küfa (Küche für alle) melden“ etwas zu einfach. Wann machen wir uns Gedanken darüber, wie Aktionen barrierearm und für alle zugänglich sein können? Das betrifft nicht nur mich als fette, be_hinderte Person, sondern zum Beispiel auch BIPoC oder Menschen, die Klassismus erleben.
Klassismus und Konsumkritik
In linken Räumen und vor allem innerhalb von Klima-Aktivismus gibt es oft eine bestimmte Vorstellung von Lifestyle, die ein Mensch führen sollte. Zum Beispiel: Vegan essen, viel Fahrrad fahren, wenig Plastik einkaufen, generell möglichst wenig konsumieren. Es gibt viele Gründe dafür. Die kenne ich, verstehe ich und habe erstmal nichts dagegen. Aber da wird auch einiges nicht mitgedacht. Zum Beispiel: Ich kann nicht gut Fahrrad fahren (fehlende Fitness, Be_hinderung, Fahrräder sind nicht für Fette Menschen ausgelegt, der Straßenverkehr stresst mich … ). Ich laufe dafür viel und fahre viel Tram. Das kostet aber viel Energie und Zeit und dadurch kann ich oft Sachen nicht machen. An viele Orte komme ich auch mit der Bahn und dem Bus gar nicht hin. In Bus und Bahn zu fahren ist auch sehr unangenehm, da die Sitze meistens zu eng für meinen Körper sind. Oft fühlt es sich erniedrigend an, wenn Menschen sich neben mich quetschen oder der Platz neben mir als einziger im Zug frei bleibt. Ich fahre zwar trotzdem nicht Auto, aber es wäre verständlich, wenn ich Auto fahren würde. Und es ist verständlich, dass andere dicke_fette Menschen Auto fahren.
Vegan essen ist für mich sehr schwer möglich. Das liegt daran, dass ich eine Geschichte mit Esstörungen und Diäten habe. Vegan zu essen, erinnert mich sehr stark an eine Diät und das löst viele unangenehme Gefühle in mir aus und erinnert mich an die Gewalt, die mein Körper durch Diätkultur erfahren hat. Jetzt kommt aber ein Plot Twist: Selbst wenn ich vegan essen würde, dann würden Menschen mich trotzdem nicht als zugehörig empfinden. Denn vegan essen wird grundsätzlich mit gesund essen und dünnsein gleichgesetzt. Das ist übrigens auch ein weißes Konzept. SchwarzRund hat dazu einen sehr coolen Artikel geschrieben, namens „Mein Fett is(s)t vegan“: https://missy-magazine.de/blog/2016/05/06/mein-fett-isst-vegan/
Es geht um einen Lebensstil, der scheinbar am Körper ablesbar ist. Denn die Körper, denen zugetraut wird, dass sie den klimafreundlichen, gerechten Lebensstil führen, sind weiß, dünn und ableisiert (nicht-behindert). Wenn Menschen meinen Körper sehen, dann sehen sie einen Körper, der verschwenderisch ist (zum Beispiel zu viel ungesund isst, zu viel Stoff für Kleidung verbraucht, keine „faire“ Kleidung trägt, weil es die nicht in meiner Größe und Preisklasse gibt, …), der kein Fahrrad fährt und der nicht in ihre hübsche kleine Utopie hineinpasst.
„Neue“ Körpernormen
Wenn du dir eine linke oder eine queere oder eine feministische Person vorstellst, dann hast du vielleicht schnell ein Bild vor deinem inneren Auge. Eine Person mit einem bestimmten Haarschnitt, einer bestimmten Kleidung, bestimmten Accessoires und vielleicht einer bestimmten Körperform? Ich auch.
Es mag zwar viel darum gehen, gesellschaftliche Körpernormen zu hinterfragen, aber es entstehen neue Normen und – spoiler Warnung – die sind meistens trotzdem fettfeindlich, ableistisch, rassistisch, transmisogyn und viel mehr. Auch wenn natürlich gesellschaftliche Aufmerksamkeit erstmal cool ist, merke ich trotzdem oft, wie ich wütend werde, wenn ich mal wieder in Serien, in den Medien, auf Veranstaltungen, etc. eine dünne, weiße, androgyn wirkende Person mit kurzen Haaren im Rampenlicht sehe. Dafür kann diese Person nichts, aber ich fühle mich so verzweifelt, dass ich keine Identifikationsfiguren habe. Und als Folge davon zweiflen ich und andere Menschen immer wieder an meiner Queerness. Und selbst wenn ich weiß, dass ich super hammer queer bin, dann fühle ich mich in diesen Räumen dennoch nicht dazugehörig, weil kaum jemensch sonst so aussieht wie ich. Hier möchte ich noch anmerken, dass das nicht nur dicken_fetten Menschen so geht. Viele queere und feministische Räume schließen zum Beispiel BIPoC, be_hinderte Menschen, nicht-akademische Menschen, Sexarbeiter*innen und trans* Frauen aus.
Ich habe gerade schon von gesellschaftlicher Aufmerksamkeit gesprochen. Damit meine ich, dass bestimmte Themen von der Gesellschaft Aufmerksamkeit bekommen (zum Beispiel durch bekanntere Medien, Kunst und Kultur, Schulunterricht, usw.), und dadurch dann auch nach und nach als normal(er) anerkannt werden. Ich erlebe oft eine andere Form von Aufmerksamkeit: Da ich so sehr aus den Normen herausfalle, falle ich oft sehr auf und Menschen starren mich an, da sie meinen Körper nicht normal finden. Ich kann auch bewusst die Aufmerksamkeit auf mich lenken und hoffen, dass ich dadurch auch einen Teil zu gesellschaftlicher Aufmerksamkeit auf ein Thema beitragen. Aber das ist für mich auch anstrengend, denn angestarrt zu werden ist meistens kein so cooles Gefühl (noch nichtmal für meine innere Diva). Manchmal kann es sogar gefährlich sein, zu sehr aufzufallen. Zum Glück habe ich bisher noch keinen körperlichen Übergriff deshalb erlebt, aber Beleidigungen oder unangenehme Kommentare von Fremden unterwegs sind für mich nichts sehr Ungewöhnliches.
Kleidung ist auch nochmal ein Thema. Für mehrgewichtige Menschen ist es schwieriger, Kleidung in ihrer Größe zu finden, geschweige denn gut aussehende Kleidung. Wer wird in queeren Räumen als Style Ikone angesehen und wer nicht? Ich habe zwar vergessen, wo ich es gelesen habe, aber die Aussage werde ich vermutlich nie vergessen: Für dünne Menschen ist es nichts besonderes, sich modisch zu kleiden, für dicke_fette Menschen ist es eine Kunst. Nicht zuletzt, weil wir überhaupt erstmal in so einer fettfeindlichen Gesellschaft das Selbstbewusstsein entwickeln müssen, schöne Kleidung zu tragen. Und wo wird dieses Thema in queeren oder linken Räumen mitgedacht? Bei welcher Kleidertausch-Party oder Drag-Ecke finde ich etwas, das mir passt? Richtig: da, wo ich selbst etwas mitbringe.
Feminismus und Abgrenzung
Ähnlich, wie ich es gerade in Bezug auf queere Räume beschrieben habe, habe ich auch noch einen weiteren Gedanken zu feministischen Räumen. Ich nenne zwei Beispiele.
Ich habe die Gedanken dazu zum ersten Mal in dem Buch „I’m a queerfeminist cyborg, that’s okay“ (S.45-49) von Mika Murstein gelesen. Es geht darum, dass endo cis Frauen mit dem Vorurteil kämpfen, dass sie schwach und emotional und dumm, etc. seien. Ein kurzer Gedanke zum Thema Intersektionalität: Die Belegung von Menschen mit Attibuten wie emotional, dumm oder auch „unzivilisiert“ hat ihren Ursprung im Kolonialismus. Alles Eigenschaften, die auch mit be_hinderten Menschen assoziiert werden. Zum Beispiel Menschen mit Lernschwierigkeiten, psychischen Krankheiten oder körperlichen Behinderungen. Teile von Feminismus sind ein ständiges Beweisen, dass diese Vorurteile nicht stimmen. Sehr explizit haben das die Feministinnen der sogenannten ersten Welle gemacht. Dadurch werden be_hinderte FLINTA unter den Bus geworfen. Als be_hinderte, Fette, sehr weiblich auftretende trans* Person fühle ich mich in vielen weiß dominierten endo cis Frauen Räumen nicht wohl (ich weiß, sie nennen sich selbst oft FLINTA Räume, aber seien wir mal ehrlich…). Dort werden oft männlich konnotierte Verhaltensweisen und fitte Körper gefeiert. (Stichwort: „starke Frauen“) Anmerkung dazu: während endo cis Frauen mit männlichen Verhaltensweisen in diesen Räumen anerkannt werden, sieht es mit trans* Personen oft schon anders aus. Manche trans* Männer und nichtbinäre Menschen, denen bei Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen wurde, werden je nach Kontext und Fremdwahrnehmung toleriert. Das liegt daran, dass sie mit dem patriarchalen Blick betrachtet, manchmal als Frauen „durchgehen“. Ich hoffe, ich muss nicht erklären, dass das total gewaltvoll und Misgendering ist?! Für trans* Frauen und nichtbinäre Menschen, denen bei Geburt ein männliches Geschlecht zugewiesen wurde, sieht die Lage aber nochmal anders aus. Sie werden systematisch aus feministischen und vielen queeren Räumen ausgeschlossen, siehe auch Transmisogynie. Das heißt nicht unbedingt, dass sie sich gar nicht in diesen Räumen aufhalten dürfen, aber eben nur unter bestimmten Bedingungen und Anpassungen an die Erwartungen in diesen Räumen. Die Lage ist auch anders für trans Menschen, die als männlich fremdwahrgenommen werden und für manche inter* Personen. Die Einteilung von Menschen nach dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, lehne ich ab. Leider leben wir trotzdem in einer Gesellschaft, in der diese Kategorie für eine Rolle spielt, weil Menschen reale Vor- und Nachteile haben, je nachdem wie sie von den Mitmenschen wahrgenommen und wie Identitäten generell verhandelt werden. Deshalb habe ich das hier benannt. Was hier auch nochmal wichtig ist: es geht viel um eine Anpassung an ein Ideal. Und darum, wie weit ich von diesem Ideal entfernt bin. Vielleicht ist eine dünne, weiße, nicht-behinderte trans* Person noch näher an dem Ideal dran und kann sich deshalb unproblematischer in einem Raum aufhalten, als eine dicke_fette, trans* BIPoC? Be_hinderte Menschen werden oft als „geschlechtslos“ wahrgenommen. Ihr Geschlecht ist nicht-behinderten Menschen unwichtig, da sie für sie sowieso nicht als ein Objekt von Begierde zählen. Werden unsere Bedürfnisse deshalb in Räumen, wo sich alles um Geschlecht dreht, so wenig wahrgenommen? Und wie wirkt sich mein Fettsein darauf aus, wie andere mein Geschlecht wahrnehmen? Ich mache mir oft Gedanken darüber, dass ich als dicke_fette Person als sehr weiblich wahrgenommen werde, da ich zum Beispiel meine Brüste nicht gut verstecken kann. Auch die Art und Weise, wie sich das Fett an meinem Körper verteilt, führt dazu, dass ich kaum als „androgyn“ wahrgenommen werde. Aber ein Gedanke, der mir nun beim Schreiben des Texts kommt, ist, dass mein Körper eigentlich auch nicht aussieht wie der „Frauenkörper“, der uns als „echt“ und „ideal“ verkauft wird. Ich denke, dass Fettfeindlichkeit und die Wahrnehmung von Fett eine große Rolle darin spielt, wie wir Geschlecht wahrnehmen, sowohl bei cis, trans* und inter* Personen. Das wird in feministischen Räumen wenig thematisiert und hinterfragt. Dazu passt auch das nächste Beispiel gut, denn es befasst sich auch mit der Frage von Schwangerschaft. Das Thema ist auch verbunden mit Fett, Zunehmen und Abnehmen, etc.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf einen Post in den Sozialen Medien. Eine dünne cis Frau hat ein Foto gepostet, wo ihr sehr dünner Bauch mit einer leichten Wölbung zu sehen war. „Hört endlich auf, Menschen zu fragen, ob sie schwanger sind“ stand dort in großer Schrift. Ich musste schlucken. Tagelang hat mich das beschäftigt. Vor allem, da ich die Person vorher ganz cool fand, habe ich natürlich erstmal darüber nachgedacht, ob ich vielleicht zu empfindlich bin. Ich möchte nicht die Wut und den Ärger schmälern von FLINTA Personen, deren Körper auf unangenehme Weise kommentiert werden. Das ist scheiße. Und ungerecht. Es ist ein bisschen wie mit anderen Machtstrukturen auch: Sie sind für alle Menschen scheiße, aber eben für manche Menschen sehr viel mehr, da sie von Diskriminierung direkt und indirekt betroffen sind. Die privilegierte Gruppe erlebt einen gewissen Druck, in das System hineinzupassen, die diskriminierte Gruppe aber erlebt direkte Gewalt in Form von Ausschlüssen, Übergriffen, Fremdbestimmung, systematischer Ausbeutung, etc. Zum Beispiel: endo cis Männer haben weniger Raum und Möglichkeiten, um über ihre Gefühle zu sprechen, sonst wird ihnen schnell ihre Männlichkeit abgesprochen. Das ist schade und gleichzeitig haben endo cis Männer sehr viel Macht und Privilegien, die FLINTA selten haben oder dafür dreimal so hart arbeiten müssen. So ähnlich ist das mit Fettfeindlichkeit: Wir alle sind davon betroffen. Viele dünne Menschen denken viel über ihr Gewicht nach und arbeiten hart dafür, dünn und fit zu sein. Das tut mir leid für diese Menschen, aber es kann halt nicht verglichen werden mit der Diskriminierung, die ich jeden Tag erfahre. Mit der verringerten Lebenserwartung, weil Ärzt*innen mich vermutlich nicht richtig diagnostizieren, wenn ich krank werde, oder weil ich aufgrund der vielen Diskriminierungserfahrungen nicht rechtzeitig Hilfe suchen werde. Mit den abscheulichen Blicken, die ich ernte, wo ich hinkomme. Mit den gehässigen Kommentaren, die ich von meiner Herkunftsfamilie, meinen romantischen Partner*innen und Freund*innen bekommen habe und bekomme. Mit einer ganzen Welt, die für dünne Körper ausgelegt ist.
Die Beschwerden von dünnen cis Frauen über Körpernegativität, genau wie die Aneignung von Body Positivity machen mich also nur wütend. Denn es zeigt mir, dass sie nicht einmal darüber nachdenken, wie es für dicke_fette Menschen ist, in dieser Gesellschaft zu leben, dass sie nicht ihre Privilegien als dünne Menschen auf dem Schirm haben und dass sie weit davon entfernt sind, sich mit mir zu verbünden.
Fettfeindliche Bilder innerhalb von Kapitalismuskritik
Kapitalismuskritik gehört zu den Basics von linken Räumen. Und doch gibt es auch hier oft vereinfachte Bilder, die genutzt werden, wenn über Kapitalismus gesprochen wird. Figuren, die den Kapitalismus oder „die Kapitalisten“ darstellen, reproduzieren nicht selten Fettfeindlichkeit (neben anderen Diskriminierungsformen). Fettsein wird als Symbol für Überfluss gesehen. Ein Bild, das darstellen soll, dass ein Mensch zu viel hat und deshalb zu viel isst. Und auch wenn über dieses Bild nicht gesprochen wird, dann haben es trotzdem viele Menschen im Kopf. Dabei hat das mit der Realität nicht viel zu tun. Mitgliedsbeiträge zum Fitnessstudio, ein privater Trainer, gesundes Essen, Medikamente zum Abnehmen, Schönheitsoperationen (zum Beispiel Fettabsaugung), Freizeit um am eigenen Körper zu arbeiten und ähnliches sind alles Dinge, die reichen Menschen mehr zur Verfügung stehen als armen Menschen.
Gedanken zum Ende
Das sind nur ein paar wenige Gedanken, die versuchen ein Unwohlsein in Worte zu fassen, das ich schon lange habe. Wenn dir beim Lesen Gedanken gekommen sind, dann melde dich doch gerne bei mir. Wie ich ja auch schon beschrieben habe: Ich komme momentan noch wenig in Austausch mit anderen dicken_fetten oder mehrgewichtigen Menschen dazu. Würde es mir aber sehr wünschen!
Und noch ein Wunsch an dünne Menschen: beschäftige dich mit Fettfeindlichkeit. Sprich mit anderen darüber. Mache Räume sicherer für dicke_fette Menschen. Und zwar nicht nur weiße, nicht-behinderte, akademische dicke_fette Menschen. Und übertrage deine Unsicherheiten nicht auf die Schultern von dicken_fetten Menschen. Nie wieder will ich hören: „nein, du bist doch gar nicht fett“, während eine Person mich peinlich berührt ansieht. Nicht, dass ich fett bin, ist das Problem, sondern dass du mein Fettsein als ein Problem siehst. Mein geliebter fetter Körper ist nämlich ein radikaler Akt des Widerstands.
P.S. Seit ich den ersten Entwurf für diesen Text geschrieben habe, war ich zum ersten Mal in einem Raum für dicke_fette Menschen. Das war echt super schön! Ich fühle mich dadurch sehr bestärkt. Auch in Kassel gab es gerade erst zum ersten Mal eine Kleidertauschparty für dicke_fette Menschen. Soooo cool!