Am 3.6. gab es in Kassel eine vom Queerreferat organisierte Kundgebung zum aktuellen Stand der Dinge beim Selbstbestimmungsgesetz. Hier ist einer der Redebeiträge dazu.
Seit Jahren warten wir auf das Selbstbestimmungsgesetz.
2019 gab es einen gescheiterten Versuch, der nicht durchgesetzt wurde. Im Koalitionsvertrag von der Ampel wurde die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes dann versprochen – und dann passierte eine Weile nichts. Letzten Sommer wurde bei der Veröffentlichung der Eckpunkte angekündigt, Sommer 2023 würde der Gesetzgebungsprozess abgeschlossen werden – und dann passierte wieder eine Weile nichts.
Jetzt ist es endlich so weit, dass seit dem 9. Mai ein Referentenentwurf vorliegt – aber damit sind wir noch ganz am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens und ich denke ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich die Vermutung anstelle, dass der Prozess viel länger dauern wird, als das bei vielen anderen Gesetzen der Fall ist.
Das Problem an den langen Wartezeiten ist nicht nur, dass sich die Verbesserung unserer Lebenssituationen verzögert. Sie gibt transfeindlichen Personen auch Zeit, gegen das Gesetz Stimmung zu machen. All die Wartezeit war Zeit, die TERFs geschenkt wurde, um ihre Hetze zu verbreiten und die Änderungen aufzuhalten.
Natürlich möchte ich, dass das TSG mit all seinen entmenschlichenden Umsetzungen abgeschafft wird. Ich möchte, dass die Gutachtenpflicht und das Gerichtsverfahren wegfallen. Ich möchte, dass keine trans* Menschen mehr durch die Kosten des Verfahrens ausgeschlossen werden. Ich möchte, dass die Änderung des Geschlechtseintrags entbürokratisiert wird.
Alles, was dazu im Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz vorgesehen ist, finde ich gut.
Aber leider gibt der Entwurf immer noch Einschränkungen in den Rechten von trans* Menschen vor. Da ist zum Beispiel §6 (2), den Aktivist*innen als die TERF-Klausel bezeichnen: Ein Abschnitt, der es Institutionen ermöglichen soll, trans* weiblichen Personen den Zutritt zu verweigern, auch wenn sie mit dem SBGG ihren Geschlechtseintrag geändert haben.
Eine solche Regelung spielt den vielen transfeindlichen Personen, die sich als Feminist*innen bezeichnen, in die Hände. Viel zu viele Organisationen schließen trans* Frauen aus ihrem Feminismus aus und genau das wird durch diese TERF-Klausel bekräftigt.
Laut dieser Klausel bleibt das Hausrecht bei geschützten Räumlichkeiten bestehen. Dadurch wird zum Beispiel legitimiert, dass Frauenhäuser trans* Frauen aus ihrer Schutzfunktion ausschließen.
Dass TERFs die Chance hatten, ihre Narrative so zu verbreiten, dass sie vom Justizminister Buschmann reproduziert wurden und sich im Entwurf wiederfinden, liegt auch daran, dass der Gesetzgebungsprozess so lange verzögert wurde.
Auch im Sport können trans* Menschen weiterhin ausgeschlossen oder in falschen Kategorien einsortiert werden, wie im nächsten Absatz, also § 6 (3) vorgegeben wird. Das spielt den Kampagnen von TERFs genauso in die Hände. Seit Jahren verbreiten transfeindliche Personen Angst und Hass gegen trans* Sportler*innen, die durch den Gesetzesentwurf hier gerechtfertigt werden.
Ich finde es unvertretbar, dass ein Gesetz, das dazu da ist, die Situation von trans* Menschen zu verbessern, transfeindliche Diskriminierung stärkt. Das sollte nicht der Fall sein.
Auch im §13 zum sogenannten Offenbarungsverbot gibt es transfeindliche Inhalte. Es ist erstmal gut, dass es ein Offenbarungsverbot gibt – das verbietet den meisten Personen, trans* Personen nach der Änderung des Eintrags zu misgendern oder zu deadnamen. Wo es dieses Recht aber einschränkt sind enge Familienangehörige. Der zweite Absatz gibt Eltern von trans* Menschen explizit das Recht, ihre Kinder zu misgendern so viel sie wollen, so lange sie keine offiziellen, amtlichen Angaben machen. Das finde ich unfassbar. Viele von uns haben Eltern, die uns nicht oder nicht vollständig unterstützen; die so tun, als wäre es ein Angriff gegen sie, dass wir unser Leben so gestalten, wie es für uns am besten ist – und genau darin werden sie durch diesen Absatz bestärkt. Die Erklärungen zum Referentenentwurf bezeichnen dieses Misgendern als ein Schützenswertes Interesse. Ich weiß auch nicht ganz, was ich dazu sagen soll.
Was übrigens vom Selbstbestimmungsgesetz nicht geregelt wird, sind Ansprüche auf medizinische Maßnahmen, also zum Beispiel Hormonbehandlungen oder Operationen. Diese Leistungen finanziert zu bekommen bleibt also weiterhin ein Kampf mit den Krankenkassen.
Mir geht der Entwurf nicht weit genug. Und damit meine ich nicht nur all die kleinen Einschränkungen, die verschiedenen trans* Communities in den Weg gelegt werden. Ich hätte es tatsächlich am liebsten, wenn es gar keinen staatlichen Geschlechtseintrag gäbe. Wenn der Staat und die Gesetzgebung ihre Hände von unseren Identitäten lassen könnten würden wir hier gar nicht stehen. In meiner persönlichen Utopie habe ich keinen Geschlechtseintrag, den ich streichen lassen muss.
Und weil ich kein Wissen von Aktivist*innen klauen will, die viel mehr wissen, als ich, kommt hier ein kleines Quellenverzeichnis: Lest Beiträge von Mine Pleasure Bouvar Wenzel – Mine hat mehrere Texte zum SBGG geschrieben, in denen die Aspekte von Fremdbestimmung aufgegriffen werden.
Auch in unseren eigenen Communities sind es oft trans* Frauen und trans* weibliche Personen, die am meisten wissen, am meisten Bildungsarbeit machen und uns am meisten zum Denken anregen. Hört ihnen zu und unterstützt sie, aber verlangt auch keine unbezahlte Bildungsarbeit von ihnen.
Meine Positionierung: weiß, transmasc genderqueer dyke, able-bodied