Rede CSD 2024

Mir wurde dieses Buch in die Hand gedrückt,
„Geschichte“ steht in großen Buchstaben draufgeschrieben.
„Hier lies, dann weißt du alles.“
In dem Buch sind alle Seiten mit Buchstaben bedruckt,
jede einzelne Seite,
schwarz auf weiß.
Wer hat die Buchstaben ausgesucht?
Von wem und was erzählen sie?
Von wem und was nicht?

Ich habe mal durch die Seiten geblättert, 
und festgestellt, dass ich nichts über die queeren Menschen  finden kann. Nichts über trans Menschen. Nichts über nichtbinäre Personen.
Ausserdem sind in die Buch alle weiß, und fast ausschließlich Männer in irgendwelchen Machtpositionen.
Doch was ist mit den Zwischenräumen, zwischen den Buchstaben, zwischen den Wörtern, zwischen den Zeilen, an den Rändern und zwischen den Seiten? 
Was passiert, wenn mensch anfängt Farbe auf die Seiten zu bringen? 
Die Seiten zu knicken, zu knüllen und zu falten und sie sich von verschiedenen Seiten aus anguckt?
Ich hab mal die Seiten zum Thema Deutschland: 1933-1945 aufgeschlagen und genau das mal ausprobiert.
Als erstes habe ich Liddy Bacroff getroffen, eine trans Frau, Schriftstellerin und Sexarbeiterin. 
Wir sind zusammen zu ihrem Stolperstein gegangen ich habe mich gefragt, wie es wohl für sie ist, dass dort neben ihrem selbstgewählten Namen auch noch der Name steht, den sie abgelegt hatte. 
Sie erzählte von Erziehungsheimen, Haftstrafen, Zuchthaus und dass sie am Ende ins KZ deportiert wurde, 
von Einsamkeit, dem „Wunsch eine vollkommene Frau“ zu sein, vom Tanzen und ihrer Liebe zu Männern. 
Dann habe ich Ovida Delect getroffen, eine trans, lesbische und kommunistische Widerstandskämpferin und Lyrikerin. 
Obwohl ich kein französisch verstehe, ist es uns dann doch gelungen mittels Übersetzer zu kommunizieren. So konnte ich sie verstehen, als sie über ihre Zeit im KZ sagte  „Tatsächlich war die Anomalie- also Abweichung von der Norm, die meinen Fall ausmachte auch die Wurzel eines ganzen Universums im Inneren, das mir ermöglichte zu überleben.“ Auch danach kämpfte sie noch für Erinnerung an den Horror des Faschismus. 
Und dann noch Joseph Wagner, ein trans Mann, der schon nach dem ersten Weltkrieg seine Transition durchmachte und Postkarten veröffentlichte, die seine Transition zeigen. 
Später ist er dann freiwillig der Waffen SS beigetreten  und hat Verbrechen von unbekanntem Ausmaß begangen. Ein Mensch, der wie so viele andere nie Konsequenzen erfahren hat. 
Gerd Katter, der sich  eine Mastektomie am Magnus Hirschfeld Institut erkämpfte. 
Auch danach blieb er noch am Institut, um andere Menschen unterstützten zu können. 
Das Institut wurde zur Zielscheibe der Nazis, die Bücher und das gesammelte Wissen wurden verbrannt. 
Gerd Katter erzählte mir, dass er mithelfen wollte, das wieder aufzubauen, was sie zerstört hatten, so weit es möglich wäre, zumindest. 
So vieles ist unwiderruflich verloren.
Er hinterlies Fotos und Videos für das neu aufgebaute Archiv, für zukünftige Generationen auffindbar.
Dann traf ich noch Gerda von Zobelitz, die einen der ersten Transvestitenscheine bekam, 
in der Hoffnung weniger Repressionen durch die Polizei und die queerfeindlichen Gesetze zu erfahren. Dafür die Kleidung tragen zu können, die sie tragen wollte.
Sie nähnte als Schneiderin Klamotten für andere trans Personen und setzte sich für Rechte von queeren Menschen ein. Als sie von betrunkenen Nazi-Polizisten angepöbelt wurde, ließ sie sich das nicht gefallen und hob die Fäuste.
Ich habe versucht all diesen Menschen zu erzählen, dass es besser wurde. 
Dass so viel schon erkämpft wurde, 
immer noch viel zu tun ist und wir noch lange nicht fertig sind damit!
Ich habe auch versucht zu erklären, dass der Faschismus nicht einfach vorbei ist, sondern nach wie vor eine Bedrohung darstellt, 
und auch, dass wir dagegen auf die Straße gehen.
Das waren alles Menschen, die ich kurz getroffen habe, in diesen Zwischenräumen, 
auch wenn sie nie ganz greifbar waren. 
Ich hätte sie gerne noch so vieles gefragt, 
ich hätte ihnen so gerne gezeigt, dass ich sie so respektieren möchte, wie sie sind, und ich hätte sie gerne gefragt, ob es ok ist, dass ich von ihren Geschichten erzähle.
So viele weitere Personen sind an mir vorbeigehuscht, waren kurz Silhouetten und Stimmen im Hintergrund. 
Und wie viele Menschen ich wohl garnicht gesehen und gehört habe.
Wie viele weitere Zwischenräume es noch zu entdecken gibt.
Cheers to those before us! Danke an die Menschen, die vor uns für unser aller Rechte gekämpft haben.
Lasst uns zusammen dafür einstehen, dass diese Rechte nicht wieder platt gemacht werden und weiter für die Freiheit und Selbstbestimmung aller kämpfen!
Kein Queerfeminismus ohne Antifaschismus!