Rede von einer queeren Person aus dem Rheinmetall Entwaffnen Camp
Wir stehen hier heute, weil Malte C. viel zu früh durch queerfeindliche Gewalt getötet wurde.Er stellte sich beim CSD Münster vor den Angreifer, der Teilnehmer*innen beschimpfte und bedrohte. Er bewies damit enormen Mut, Solidarität und Entschlossenheit. Er wurde niedergeschlagen und schwer am Kopf verletzt. Nachdem er ins künstliche Koma verlegt werden musste, ist er heute seinen Verletzungen erlegen.
Ich weiß nicht, wie ich eine Rede halten soll, die dieser schrecklichen Tat und allem was sie mit sich zieht gerecht werden soll.
Dieser Redebeitrag wird den mannigfaltigen Perspektiven von Betroffenen transfeindlicher Gewalt sicher nicht gerecht werden. Ich werde trotzdem versuchen, darüber zu sprechen.
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Ich habe keine Worte für die Trauer und die Wut, die ich spüre.
Trauer um den Menschen, der viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde.
Trauer für all die trans, inter, nichtbinären und agender Menschen, die ermordet oder in den Tod getrieben wurden.
Trauer, wenn ich an all die jungen, hoffnungsvollen Gesichter auf den CSDs denke, in einem sirrenden, sommerlichen Meer aus unterschiedlichen bunten Flaggen und Identitäten.
Sie hätten so sehr ein Leben ohne queerfeindliche Gewalt verdient, doch sie leben in einer Welt, in der queeres Leben und Freiheit systematisch in Frage gestellt und angegriffen werden.
Ich habe keine Worte für diese Trauer. Sie ist ein grauer, diesiger Ozean, an dessen Küste ich sitze, an dessen Küste wir vielleicht gerade alle sitzen und hinausschauen. Diese kollektive Trauer ist zu tief und zu weit, sie beinhaltet zu viele Perspektiven und Geschichten, um sie jemals in einer einzelnen Rede zu ergründen. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir eine Minute miteinander in Gedenken an Malte schweigen.
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Und dann ist da noch die Wut.
Ich will es nicht länger ertragen müssen, dass auch nur ein weiterer Mensch von uns genommen wird!
Ich will keine Angst um meine trans, inter, nichtbinären und agender Genoss*innen und Freund*innen haben müssen.
Jeder der Übergriffe in Berlin, Stuttgart, Frankfurt, Herne, Dresden, Bremen, Bielefeld, Heidelberg, Hamburg, Köln, und Kassel, und an zu vielen weiteren Orten bringt mich zum kochen. Ich will, dass keines dieser Arschlöcher sich mehr traut, uns anzugreifen. Wut über die queer- und die transfeindliche Hetze in den Parlamenten, den Talkshows, und ja, auch vielen feministischen Räumen. Diese Hetze wurde in vielen Ländern schon in antiqueere Gesetzen zementiert.
Wie können sie es wagen?
Und auch in Deutschland wird die Selbstbestimmung von trans, inter, nichtbinären und agender Menschen über den eigenen Körper und die eigene Identität weiterhin von staatlicher Seit blockiert und pathologisiert. Das Selbstbestimmungsgesetz wäre das Mindeste, und trotzdem werden wir hingehalten. All das, während sich dieselben Parlemente gleichzeitig mit Regenbogen schmücken. Was für eine bodenlose Unverschämtheit.
Sagt es mit mir: No Justice – No Peace. No Justice – No Peace! No Justice! No Peace!
Ich will, dass diese Scheiße endlich aufhört. Und ich weiß, dass es allen queeren Menschen so geht.
Doch in den letzten Jahren wurde die queere Bewegung nicht nur von kapitalistischer Seite vereinnahmt – den Mist kennen ja leider wir schon. Es wird auch zunehmend versucht, unsere Bewegung mit der Polizei zu verwickeln. Der Dachverband CSD Deutschland e.V. kooperiert immer offener mit Polizei-Strukturen. Der bürgerrechtliche Lesben- und Schwulenverband setzt schon seit Jahren darauf. Queerbeauftragte der Polizei drängen sich offensiv in queere Netzwerke hinein und nehmen dabei wissentlich und willentlich in Kauf, dass dadurch viele queere Menschen und strukturen ausgeschlossen werden. Die Innenminister*innen-Konferenz hat Ende 2021 einen Beschluss zur Bekämpfung queerfeindlicher Gewalt vorgestellt. Dieser sieht eine „Sensibilisierung“ der Cops für queere Themen und eine spezifische Dokumentation antiqueerer Gewalt vor. Wunderbare PR für eine Institution, die in den letzten Jahren zunehmend und berechtigt unter Kritik stand.
Aber wie kann uns eine Insitution schützen, die in ihrer gesamten Funktion steh für die Aufrechterhaltung einer sexistischen, rassistischen, kapitalischen und ja, auch queer- und trans-feindlichen Realität? Wie sollen uns Institutionen schützen, die seit jeher von rechten Netzwerken durchsetzt sind?
Ich kann die Verzweiflung verstehen, aus der Betroffene, wie auch jetzt in Münster, fordern, dass die Polizei uns schützen soll. Aber das kann und wird leider niemals geschehen. Die Polizei ist gar nicht dazu geschaffen, zu helfen und zu schützen.
Die Polizei schiebt queere Menschen ab. Sie bekämpft emanzipatorische Bewegungen. Sie prügelt Nazis den Weg frei. Seit 1990 hat sie mehr als 180 Schwarze Menschen ermordet.
Sie ist niemandes Freund und Helfer. Und bis das auch die bürgerlichen, weißen, cisgender Lesben und Schwulen verstanden haben, müssen die Queers danach handeln, die das bereits verstanden haben. Wir müssen uns organisieren. Wir müssen selber für unsere Befreiung kämpfen, und können uns dabei nicht auf den Staat und die Polzei verlassen. Und wir müssen Alternativen aufstellen, damit Betroffene und Angehörige queerfeindlicher Gewalt eine Wahl haben, nicht zur Polizei zu gehen.
Wir müssen unsere Kapazitäten für queeren Selbstschutz erweitern, auf den Demonstrationen und an vielen anderen Orten. Wir müssen diese Angriffe von nicht-staatlicher Seite dokumentieren, Betroffene unterstützen und Täter*innen benennen. Wir brauchen mehr sichere, selbstbestimmte Orte und Freiräume, um uns in dieser gewaltvollen Gesellschaft ein bisschen Community und Lebensfreude zu erkämpfen.
Und wir brauchen die Solidarität unserer Genoss*innen.
Deshalb fordere ich euch auf: Steht nicht tatenlos beiseite, wenn trans und inter Menschen aus Räumen verdrängt werden. Positioniert euch. Das ist kein unnötiges Spaltungs-Thema. Das ist ein linker Mindest-Standard!
Und Der Einsatz gegen Queer- und Transfeindlichkeit ist Antifaschismus. Rechte werden mit diesem Thema weiterhin Welle machen, und genauso wie sie Teile bürgerlicher Mileus via Verschwörungstheorien vereinnahmen konnten, schlagen sie gerade über transfeindliche Ideen Brücken in Teile der feministischen Bewegung. Und ja klar, lasst uns dort als Feminist*innen immer weiter dort miteinander Reden, wo Hopfen und Maltz noch nicht ganz verloren sind. Aber ab einem gewissen Punkt müsst ihr eine Grenze ziehen! Auch wenn das bedeutet, einige Bündnispartner*innen zu verlieren.
Liebe trans, inter, und nichtbinären, agender und queeren Freund*innen, Genoss*innen und Gefährt*innen. Ich weiß nicht, was ich euch sagen, was ich euch mitgeben soll. Ich habe nur eine Erkenntnis, aus meinem bisherigen Leben, die ich euch anbieten kann: Let’s be careful with each other, so we can be dangerous together. Bitte passt aufeinander auf. Diese Welt ist beschissen und gefährlich. Aber sie wird erträglicher, wenn wir einander haben, und wenn wir aufeinander aufpassen.
Malte war kein Einzelfall, Widerstand überall!