Wem wird zugehört?
In dieser Rede wird über Gewalt gegen trans*, inter*, nichtbinäre und agender Personen gesprochen. Es geht auch um Selbstmord. Bitte achte auf dich und hole dir Unterstützung, wenn du etwas brauchst.
Die Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz ist eine, die auf Kosten von TIN (trans*, inter*, nicht-binären Personen) geführt wird, besonders auf Kosten von trans* Frauen.
Es ist nämlich kein Zufall, dass in der politschen Debatte, obwohl sie in Institutionen wie dem Bundestag stattfindet oder auf zivilgesellschaftlicher Ebene vor allem Bedrohungsszenarien gezeichnet werden, die immer ein ähnliches Schema aufweisen:
Besorgte sog. Feministinnen bzw. Frauenrechtlerinnen warnen davor, dass das Selbstbestimmungsgesetz „Männern“ Tür und Tor öffnet, sich als Frauen ausgeben zu können um
a.) sexualisierte Gewalt in Räumen, die bisher „Frauen“ vorbehalten waren ausüben zu können
b.) sich „Frauenprivilegien“ (z.B. Frauenquoten) erschleichen oder ingesamt einen gesellschaftlichen Vorteil erhoffen, z.b. bei Sportwettbewerben, im Militärdienst, oder im Frauengefängnis.
Wem wird zugehört? Wem nicht?
Worüber wird gesprochen? Worüber nicht?
Das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz ist ein Gesetz von und für cis Menschen. Ja: Es ist für viele trans*, inter*, nichtbinäre und agender Personen ein großer Fortschritt, niedrigschwellig den Namen und Geschlechtseintrag ändern zu können. Keine Gutachten mehr, keine hohen Kosten. Das bringt eine große Erleichterung für viele unserer Leben. Vermutlich denkt ihr jetzt, dass wir dankbar sein sollen, dass wir das Recht bekommen, was wir uns schon immer selbst eingefordert haben. Vergesst nicht: Meinen Namen, mein Geschlecht, meine Pronomen habe ich schon lange. Nicht erst in dem Moment, in dem ihr es anerkennt. Doch das Gesetz erfüllt längst nicht die Anforderungen für tatsächliche Selbstbestimmung von trans*, inter*, nichtbinären und agender Personen.
Wie wäre es mal mit einer geregelten und SELBTBESTIMMTEN medizinischen Versorgung? Und zwar nicht nur für trans* und inter* Personen, sondern auch für endo und cis Personen. Und zwar für alle und nicht nur reiche, deutsche Staatsbürger*innen.
Wenn ich von einem diskriminierenden Therapeut*innen-Kennenlern-Gespräch zurückfahre, Tränen laufen über mein Gesicht und ich kann immer noch nicht fassen, was mir gerade passiert ist. Und in meinem Kopf ist nur der Gedanke: nie, nie nie werde ich diese Operation machen können, die mir ein glückliches Leben ermöglichen soll. Nie mehr will ich so eine Demütigung erleben. Und ich bin selbst erschrocken über den Gedanken, der darauf folgt.
Wer zählt als schützenswert? Wessen Leben wird geschützt?
In der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz geht es um die Ängste von cis Frauen und um die angebliche Bedrohung durch trans* Frauen.
Dabei wird verschleiert, dass TIN Personen Diskriminierung und Gewalt erfahren. Und dass diese Gewalt auch von cis Frauen ausgehen kann.
Um es noch einmal ganz unmissverständlich zu sagen: TIN Personen sind von Gewalt betroffen; von sexualiserter Gewalt, physischen An- und Übergriffen, verbaler und psychischer Gewalt, von institutioneller Diskriminerung (bspw. erschwerter Zugang zu Gesundheitsversorgung) und schließlich auch von der omnipräsenten strukturellen Gewalt, in den alltäglichsten Situationen, bspw. am Arbeitsplatz, in der Uni und und und.
Besonders hart sind diejenigen TIN Personen betroffen, die Mehrfachdiskriminierung erleben. Zum Beispiel Schwarze Menschen, Menschen of Color, Geflüchtete Menschen, Behinderte Menschen, arme Menschen.
Beispielsweise würden sich viele trans*Frauen niemals in sog. „Frauenschutzräume“ begeben, weil sie sich dort nicht sicher oder erntsgenommen fühlen könnten. Wie solche Räume für trans* Frauen oder TIN generell sicherer gestaltet werden könnten oder gesellschaftliche Diskriminierung in sämtlichen Bereichen abgebaut werden kann, wird in der Debatte und in dem Selbstbestimmungsgesetz selbst nicht, oder zumindest nicht genug, thematisiert.
Hier wird deutlich: cis Feministinnen inszenieren sich als Opfer, aber oft sind sie selbst die Täterinnen!
Stattdessen werden die Betroffenen Personen unter Generalverdacht gesetellt und ihnen Hürden in den Weg gelegt, wie beispielweise die drei-monatige Bedenkzeit, oder die einjährige Sperrfrist nach Änderung des Eintrags. Oder eben die explizite Betonung, dass, in Hinblick auf sogenannte (!) „geschützte“ Räume, das Hausrecht unangetatstet bleibt. Diese Hürden kommen dann noch zu den sowieso schon erlebten Diskriminierungserfahrungen dazu.
Wenn ich im Internet von einer „Feministin“ bedroht werde und dann auf der Straße von ihr geschubst werde, weil ich trans* bin. Und ich jeden Tag Angst habe, wenn ich an dem Ort vorbeikomme, wo das passiert ist. Was, wenn ich diese Person oder ihre Freundinnen wieder treffe? Was wird nächstes Mal passieren? In jedem Raum habe ich das Gefühl, ich soll meine eigene Existenz rechtfertigen. Warum bin ich als trans* Person hier? Darf ich fordern, dass du meine Pronomen lernst? Darf ich fordern, dass keine transfeindlichen Feministinnen mit mir gleichzeitig hier sind? Dann schleicht sich immer mal wieder der Gedanke in meinen Kopf: Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr so leben.
Wessen Tod wird betrauert?
Es ist sehr offensichtlich, dass es sich um ein Gesetz von cis Menschen für cis Menschen handelt. In diesem Gesetz sagt nichts Selbstbestimmung: es werden nur zusätzliche Hindernisse eingebaut, „um Menschen vor unüberlegten Entscheidungen zu bewahren“, zum Beispiel die dreimonatige Wartezeit oder die Sperrfrist von einem Jahr. Ist das so, wie ihr uns seht? Dass unsere Geschlechter unüberlegte Entscheidungen sind, die wir in einem kurzen Moment im Spaß getroffen haben? Da fühle ich mich ja sehr ernst genommen und selbstbestimmt. (Das war Sarkasmus)
Besonders die Beratungsangebote für Minderjährige seien dafür da, dass sie ihre Entscheidung „wohlüberlegt treffen“. Wo sind die Beratungs- und Unterstützungsangebote, um trans* und queere Kinder und Jugendliche zu unterstützen und zu schützen und vielen jungen Menschen damit wortwörtlich das Leben zu retten?
Trans* Kinder und Jugendliche sollten einen besonderen Schutz vor Diskriminierung und Gewalt erfahren. Das Selbstmord-Risiko bei trans* und queeren Jugendlichen ist sehr hoch. Wobei es eigentlich irreführend ist, von Selbstmord zu sprechen. Da es ja die Folge von Diskriminierung und patriarchaler Gewalt ist.
Und wo ich schonmal über Kinder spreche: wie entwürdigend ist es bitte, dass trans* Eltern immer noch nicht ein Recht darauf haben, mit dem richtigen Geschlecht in der Geburtsurkunde ihrer Kinder zu stehen?
Und in vielen entscheidenden Bereichen, die im Moment geschlechtergetrennt sind, gilt weiterhin das „Hausrecht“, bzw. „es sollen kontextbezogen eigene Regelungen gefunden werden“, wie zum Beispiel im Sport, im Gefängnis usw.
Und der Gedanke wird immer wieder konkreter, wenn ich in den sozialen Medien von dem queerfeindlichen Gesetz in Uganda lese. Und wenn ich von den Anti-Trans Gesetzen in den USA lese. Dann steht das plötzlich in einem globalen Kontext. In dem antifeministische und queerfeindliche Strömungen an Macht gewinnen. Dann will ich manchmal einfach nur noch aufgeben. Vielleicht ist es einfacher, jetzt aufzuhören, als mit zu erleben, wie es überall immer schlimmer wird.
Als ich das erste Mal gehört habe, dass ich vielleicht bald meinen Geschlechtseintrag und Namen offiziell ändern lassen kann, habe ich mich gefreut. Aber tja, das war wohl mein Fehler. Jetzt ist diese Freude überschattet von der Angst, ob die Krankenkasse in Zukunft notwendige medizinische Unterstützung für mich und meine trans* Geschwister bereitstellen wird. Und von der Angst, noch weniger Schutz vor queerfeindlicher Diskriminierung zu haben. Und vor allem von der Angst um meine trans* Freundinnen und Schwestern, die all diese Regelungen am härtesten treffen werden.
Möglicherweise ist das Gesetz zumindest in mancher Hinsicht eine Verbesserung zum TSG. Aber das Grundproblem, nämlich das normaliserte Verständis von Geschlecht als binäres und heteornormatives System, wird nicht angtastet. Somit ist es keine echte Anerkennung oder Schutz von TINQA-Identitäten und auch keine echte Selbstbestimmung. Damit werden wir uns niemals zufrieden geben!
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Diese Rede wurde von zwei weißen, christlich-sozialisierten, akademischen, neurodivergenten, queeren Menschen geschrieben. Eine Person ist transfeminin, die andere ist eine nichtbinäre High Femme.