Redebeitrag CSD 2021

Ich gehöre zur Gruppe MeeTIN* Up, einer Gruppe für trans*, inter und nicht-binäre Menschen in und um Kassel, und in der Theorie mag ich CSDs ganz gerne. 
Ich mag CSDs, wenn sie ein Ort sind, an dem unsere Identitäten gefeiert werden, gleichzeitig aber auch Raum für politische Forderungen bieten. Denn wir brauchen beides davon. Wir brauchen Orte, an denen wir frei sind, wir selbst zu sein und uns feiern können, aber CSDs müssen auch politisch sein. Sie müssen ein Ort sein, an dem wir unsere Kämpfe und Forderungen auf die Straße tragen können. Nur so können sie an die queere Geschichte anknüpfen, die sie feiern.

Ein aktueller Kampf, der besonders trans* Menschen beschäftigt, ist das Ersetzen des TSGs durch ein Selbstbestimmungsgesetz. Im Zuge des TSGs werden trans* Menschen vor Gericht begutachtet, bevor sie ihren amtlichen Namen und ihren Personenstand ändern können. Dies ist in den allermeisten Fällen mit traumatischen Erfahrungen verbunden. Ich werde die Horrorgeschichten, die Menschen von diesen Gutachten erzählen, nicht wiederholen, aber alle von ihnen berichten von Pathologisierung und übergriffigen Befragungen.
Deshalb fordern wir, dass das TSG abgeschafft und durch ein neues Gesetz ersetzt wird, das es uns erlaubt, selbstbestimmt unseren Namen und Personenstand zu ändern. Das uns zutraut, uns selber besser zu kennen, als irgendwelche cis Gutachter*innen, die uns noch nie zuvor gesehen haben.
Cis Menschen, wir bitten euch, euch mit trans* Menschen zu solidarisieren und unsere Kämpfe zu unterstützen. Hört trans* Personen zu, wenn es um trans* Themen geht, statt transfeindlichen cis Personen, auch wenn diese sich als noch so feministisch darstellen. Lernt von trans* Personen, besonders von trans* Frauen, trans* Personen of Colour und trans* Frauen of Colour. Glaubt ihnen, wenn sie über die Unterdrückung reden, die sie erfahren.
CSDs sind ein Ort für Solidarität zwischen queeren Menschen. Wir haben untereinander verschiedene Erfahrungen, aber auch unfassbar viel gemeinsam. Kleine Untergruppen von der queeren Community abzuspalten richtet nichts als Schaden an. Um voranzukommen, müssen wir an einem Strang ziehen. Solidarität auch mit queeren Menschen, deren Labels wir nicht auf Anhieb verstehen, weil sie uns widersprüchlich erscheinen. Solidarität mit queeren Menschen, die sich mit komplexen Selbstbeschreibungen und vielen Wörtern schmücken, genau wie mit queeren Menschen, die gar keine Labels benutzen. Solidarität über verschiedene Achsen von Diskriminierung hinweg. Queere Solidarität muss immer auch intersektional sein.
In den Worten von Leslie Feinberg, einer wichtigen Person aus der jüngeren queeren Geschichte:
To claim that one group of down-trodden people is oppressing another by their self-identification is to swing your guns away from those who really do oppress us, and to aim them at those who are already under siege.“
Grob übersetzt: Zu behaupten, eine Gruppe von unterdrückten Menschen würde durch ihre Selbst-Identifikation eine andere Gruppe unterdrücken, verschiebt den Fokus weg von denen, die uns wirklich unterdrücken und zielt stattdessen auf die, die selbst marginalisiert sind.
Zie bezog sich in diesem Zitat auf lesbische cis Feminist*innen, die trans* Frauen aus ihrem Feminismus ausschließen und behaupten, von ihnen unterdrückt zu werden. Für diese Art von transfeindlichem Radikalfeminismus ist auf CSDs kein Platz. Leslie Feinberg selber war butch, lesbisch, transgender, und wollte als revolutionär kommunistisch in Erinnerung behalten bleiben.
Genauso wenig wie für terfs ist Platz für Firmen, die Regenbogenkapitalismus für Marketing benutzen und Parteien, die gegen das Selbstbestimmunsgesetz gestimmt haben. Aus allen Parteien haben Menschen gegen die Gesetzesentwürfe gestimmt. Bei der CDU und AfD war das natürlich zu erwarten. Besonders ins Auge springt aber die SPD, die kollektiv nicht für die Entwürfe gestimmt hatte, um Koalitionsloyalität zur CDU aufrecht zu erhalten. Das ist unfassbar feige, besonders, nachdem sie ihre Social Media Accounts erst kurz zuvor mit Regenbogenflaggen geschmückt hatten. 
Die queere Community ist kein Wahlkampfinstrument für Parteien, die letztendlich nichts mit uns zu tun haben wollen und aktiv gegen unsere Ziele streben. CSDs sind kein Ort für Wahlkampf und Selbstinszenierung darüber, was für tolle Allies Parteien sind.
Was ich außerdem noch erwähnen möchte, ist, dass auch die Polizei nichts auf CSDs zu suchen hat. Niemals. Historisch stand die Polizei immer gegen queere Kämpfe.
Die Stone Wall Riots, die wir auf CSDs feiern, waren ein von queeren und trans* BIPoC geleiteter Aufstand gegen die Polizeigewalt, die queere Menschen und queere Spaces traf, und das dürfen wir niemals vergessen. No Cops At Pride.